Rassismus-Detektive im Auftrag der Regierung: Wenn Weiße immer die Täter sind

[Ich doku­men­tie­re hier mei­nen neu­es­ten Bei­trag in der Ber­li­ner Zei­tung. Der Titel wur­de zwi­schen­zeit­lich geän­dert, aber mit die­sem wur­de er ursprüng­lich veröffentlicht.]

Der Staat finan­ziert akti­vis­ti­sche Ras­sis­mus­for­schung mit Mil­lio­nen. Die wis­sen­schaft­li­chen Grund­la­gen sind dünn, Ergeb­nis­se ste­hen schon vor­her fest.

6.7.2022

Am Don­ners­tag soll Fer­da Ata­man Anti­dis­kri­mi­nie­rungs­be­auf­tra­ge der Bun­des­re­gie­rung wer­den. Ata­man bezeich­net wei­ße Deut­sche bekannt­lich als „Kar­tof­feln“ und ver­däch­tigt Kran­ken­häu­ser, Men­schen mit Migra­ti­ons­hin­ter­grund wäh­rend der Pan­de­mie als Letz­te zu behan­deln. Was für vie­le nun wie ein Damm­bruch wirkt, ist aber nur ein wei­te­rer Schritt im Zuge des Auf­stiegs einer neu­en Schu­le von radi­ka­len „Anti­ras­sis­ten“ in die Institutionen.

Für sie ist Deutsch­land bis ins Mark ras­sis­tisch – wie alle Län­der, die mehr­heit­lich von wei­ßen Men­schen bewohnt wer­den. Wer das bestrei­tet, beweist damit in ihren Augen nur sei­nen Ras­sis­mus. Als The­ra­pie ver­schreibt sie akti­ve Dis­kri­mi­nie­rung von Wei­ßen und ein per­ma­nen­tes Bemü­hen, den Ras­sis­mus frei­zu­le­gen, den sie in jedem Win­kel der Gesell­schaft und unse­rer Psy­che vermutet.

Ursprüng­lich aus den Ver­ei­nig­ten Staa­ten stam­mend, nimmt der neue Anti­ras­sis­mus auch in Deutsch­land immer mehr Fahrt auf. Zum Bei­spiel am Deut­schen Zen­trum für Inte­gra­ti­ons- und Migra­ti­ons­for­schung, kurz DeZIM, das am 9. und 10. Juni auf einer Ber­li­ner Tagung die Auf­takt­stu­die sei­nes „Natio­na­len Dis­kri­mi­nie­rungs- und Ras­sis­mus­mo­ni­tors“ (NaDi­Ra) vor­ge­stellt hat.

Den Auf­trag zur Ein­rich­tung des NaDi­Ra erhielt das Insti­tut bereits 2020 vom Deut­schen Bun­des­tag auf Initia­ti­ve des Kabi­netts­aus­schus­ses zur Bekämp­fung von Rechts­extre­mis­mus und Ras­sis­mus unter Ange­la Mer­kel. Offi­zi­ell soll der Ras­sis­mus­mo­ni­tor kon­ti­nu­ier­lich „Ursa­chen, Aus­maß und Fol­gen von Ras­sis­mus in Deutsch­land“ unter­su­chen und in regel­mä­ßi­gen Abstän­den ent­spre­chen­de Stu­di­en veröffentlichen.

Grenzen zwischen Wissenschaft und Aktivismus werden verwischt

Feder­füh­ren­de Lei­te­rin des DeZIM ist Nai­ka Forou­tan, Pro­fes­so­rin für Inte­gra­ti­ons­for­schung und Gesell­schafts­po­li­tik an der Ber­li­ner Hum­boldt-Uni­ver­si­tät. Forou­tan bezeich­net sich selbst als „par­ti­el­le Akti­vis­tin“. In einem Pod­cast Anfang des Jah­res freu­te sie sich dar­über, dass vie­le Aka­de­mi­ker wis­sen­schaft­li­ches und akti­vis­ti­sches Han­deln „nicht mehr so hart tren­nen“ würden.

Forou­tan bekennt sich zur Iden­ti­täts­po­li­tik, jener akti­vis­ti­schen Schu­le, die durch Mobi­li­sie­rung von Grup­pen­iden­ti­tä­ten für Macht- und Ver­tei­lungs­kämp­fe gerech­te­re Ver­hält­nis­se zu schaf­fen gedenkt. In einem Fra­ge­bo­gen der Frank­fur­ter Rund­schau riet sie 2018 der SPD, „die Klas­sen­fra­ge mit der Gen­der- und Race-Fra­ge zu ver­knüp­fen“. Sie bezeich­net den Kom­mu­nis­mus als „Uto­pie, der es sich lohnt, wei­ter nachzugehen“.

Das DeZIM wird aus Mit­teln des Bun­des­fa­mi­li­en­mi­nis­te­ri­ums finan­ziert – des­sel­ben Hau­ses, das unter dem Stich­wort „Demo­kra­tie­för­de­rung“ bereits seit Jah­ren diver­se Akti­vis­ten­grup­pen mit Geld aus­stat­tet und es für unzu­mut­bar hält, von ihnen im Gegen­zug ein Bekennt­nis zur frei­heit­lich-demo­kra­ti­schen Grund­ord­nung zu ver­lan­gen. Zuletzt haben die Ampel-Par­tei­en die För­de­rung für das DeZIM im Rah­men des Bun­des­haus­halts 2022 noch ein­mal um 1,2 Mil­lio­nen auf 4,8 Mil­lio­nen Euro jähr­lich erhöht. Doch wie genau sieht die Ras­sis­mus­for­schung des DeZIM aus – und wel­che Lösun­gen bie­tet es an?

Ist Rassismus wirklich jederzeit und überall anzutreffen?

Ras­sis­mus ist für eine gro­ße Mehr­heit der Men­schen in Deutsch­land eine all­ge­gen­wär­ti­ge Erfah­rung“, heißt es in der Auf­takt­stu­die des Ras­sis­mus­mo­ni­tors. Der Befund, dass in Deutsch­land auch heu­te noch Ras­sis­mus anzu­tref­fen ist, über­rascht nicht. Aber ist er „all­ge­gen­wär­tig“? Stößt man hier­zu­lan­de täg­lich auf Ras­sis­mus, wo man geht und steht?

Die Stu­die beruht auf einer reprä­sen­ta­ti­ven Befra­gung von rund 5000 Per­so­nen. Von ihnen woll­ten die Autoren unter ande­rem wis­sen, ob sie schon ein­mal auf eine von drei mög­li­chen Arten mit Ras­sis­mus in Berüh­rung gekom­men sind: Sie wur­den selbst ras­sis­tisch behan­delt (22,2 Pro­zent), sie haben ras­sis­ti­sche Vor­fäl­le beob­ach­tet (45,1 Pro­zent) oder sie haben aus dem Bekann­ten­kreis von Ras­sis­mus­er­fah­run­gen gehört (48,8 Prozent).

Was für Vor­fäl­le dies kon­kret waren und wie oft die Teil­neh­mer sie erlebt haben, wur­de nicht erfragt. So erge­ben sich nur zwei Kate­go­rien: betrof­fen oder nicht betrof­fen. Es wür­de also genü­gen, ein ein­zi­ges Mal im Leben einen ras­sis­ti­schen Vor­fall unbe­kann­ter Schwe­re beob­ach­tet zu haben, um als Ras­sis­mus­be­trof­fe­ner ein­ge­stuft zu wer­den, unab­hän­gig davon, wie vie­le ras­sis­mus­freie Tage und Begeg­nun­gen man davor und danach auch erlebt haben mag. Aus der zah­len­mä­ßi­gen Grö­ße der so gebil­de­ten Betrof­fe­nen-Kate­go­rie wird dann abge­lei­tet, dass Ras­sis­mus „für eine gro­ße Mehr­heit der Men­schen in Deutsch­land eine all­ge­gen­wär­ti­ge Erfah­rung“ sei.

Ein rassifiziertes Weltbild

Die­se Kate­go­rien­bil­dung zeigt eine Ten­denz, die den gan­zen Bericht prägt: Das Bestre­ben, die Gesell­schaft mög­lichst umfas­send des Ras­sis­mus zu über­füh­ren. Wo die Stu­die Posi­ti­ves über die Bevöl­ke­rung zu sagen hat, geht es immer auf die eine oder ande­re Art dar­um, dass ein Pro­blem­be­wusst­sein für Ras­sis­mus vor­han­den sei – nie dar­um, dass Ras­sis­mus nicht über­all ein Pro­blem sei, weni­ger ein Pro­blem sei als frü­her oder gar, dass man­che Men­schen schlicht nicht ras­sis­tisch sei­en. Das gro­ße Bild, das die Stu­die zeich­net, ist das einer zutiefst ras­sis­ti­schen Gesell­schaft, die über den eige­nen Ras­sis­mus zugleich schwer besorgt ist.

Die Stu­die unter­schei­det unter den Befrag­ten sechs „ras­si­fi­zier­te Grup­pen“: Schwar­ze, Juden, Mus­li­me, Asia­ten, Ost­eu­ro­pä­er sowie Sin­ti und Roma. „Ras­si­fi­ziert“ bedeu­tet, dass die Mehr­heits­ge­sell­schaft den Betrof­fe­nen die Zuge­hö­rig­keit zu einer ima­gi­nä­ren „Ras­se“ auf­ge­drückt habe, um ihre Aus­beu­tung und Unter­drü­ckung zu recht­fer­ti­gen. Die sieb­te Grup­pe sind also die­je­ni­gen, die das tun, die Ras­si­fi­zie­rer; Ata­mans „Kar­tof­feln“.

Die „ras­si­fi­zier­ten Grup­pen“ wer­den auch als „poten­zi­ell von Ras­sis­mus Betrof­fe­ne“ bezeich­net. Dar­in ver­birgt sich das bekann­te Man­tra „Es gibt kei­nen Ras­sis­mus gegen Wei­ße“, das sich durch eben die­se Vor­an­nah­me begrün­det: Ras­sis­mus ist eine Ideo­lo­gie, mit der eine Grup­pe die Unter­drü­ckung ande­rer Grup­pen recht­fer­tigt. Mit­glie­der von Min­der­hei­ten kön­nen daher nicht ras­sis­tisch sein, wäh­rend Mit­glie­der von Mehr­hei­ten nicht Opfer von Ras­sis­mus sein können.

Zwei unvereinbare Rassismusbegriffe

Man kann über das Für und Wider die­ser Defi­ni­ti­on strei­ten. Doch sie trägt ein dop­pel­tes Kom­mu­ni­ka­ti­ons­pro­blem in die Stu­die hin­ein. Die Befrag­ten ver­ste­hen womög­lich etwas ande­res unter „Ras­sis­mus“ als die Fra­gen­den, eben­so wie die spä­te­ren Leser von Zei­tungs­mel­dun­gen über die Ergeb­nis­se. Gleich­zei­tig neh­men aber bei­de Grup­pen treu­her­zig an, sie wüss­ten, wor­um es geht. Eine mög­li­che Fol­ge die­ser Begriffs­ver­wir­rung: Wenn befrag­te Juden bei­spiels­wei­se über Ras­sis­mus berich­tet hät­ten, der von Mus­li­men aus­geht, oder Sin­ti und Roma über sol­chen von Ost­eu­ro­pä­ern, bil­det die Stu­die das nicht ab, denn sie lässt expli­zit nur den Ras­sis­mus der „nicht Ras­si­fi­zier­ten“ als sol­chen gel­ten. Durch die­ses theo­re­ti­sche Framing kann man als Leser nicht anders, als sämt­li­chen gemel­de­ten Ras­sis­mus den Deut­schen ohne Migra­ti­ons­hin­ter­grund zuzuschreiben.

Dass die Bevöl­ke­rung Ras­sis­mus anders wahr­nimmt als die zugrun­de geleg­te Theo­rie, zeigt bereits der Befund, dass fast der glei­che Anteil der „Ras­si­fi­zier­ten“ und der Übri­gen die Fra­ge bejaht, ob wir „in einer ras­sis­ti­schen Gesell­schaft“ leben – 51 Pro­zent ver­sus 49 Pro­zent. Wenn „Ras­si­fi­zier­te“ theo­rie­ge­mäß unter all­ge­gen­wär­ti­gem Ras­sis­mus lit­ten, wäh­rend die Ras­si­fi­zie­rer auf­grund ihres Pri­vi­legs blind für die­se Tat­sa­che wären, müss­te die­ses Ver­hält­nis anders aussehen.

Fangfragen als Forschungsmethode

Ist Ras­sis­mus etwas, das „in ers­ter Linie bei Rechts­extre­men“ vor­kommt? Dem stim­men rund 60 Pro­zent der Befrag­ten zu. Die Stu­die wer­tet dies als „Exter­na­li­sie­rung“, eine Form von „Abwehr­ver­hal­ten“. Die Annah­me: Die Befrag­ten sind selbst ras­sis­tisch, wol­len das aber nicht wahr­ha­ben und strei­fen das Pro­blem daher auf die Rechts­extre­men ab. Doch „in ers­ter Linie“ bedeu­tet nicht „aus­schließ­lich“. Die Aus­sa­ge, dass Ras­sis­mus in ers­ter Linie bei Rechts­extre­men auf­tre­te, ist gera­de­zu per Defi­ni­ti­on rich­tig, da sich Rechts­extre­me wesent­lich durch ihren Ras­sis­mus vom Bevöl­ke­rungs­durch­schnitt unter­schei­den. Zudem lei­tet die Stu­die ihre Dis­kus­si­on des The­mas Ras­sis­mus selbst mit Ver­wei­sen auf rechts­extre­me Mor­de ein. Offen­bar den­ken also auch die Autoren bei die­sem The­ma „in ers­ter Linie“ an Rechtsextremismus.

Die­se – in Erman­ge­lung eines bes­se­ren Wor­tes – bös­wil­li­ge Aus­le­gung von erzwun­ge­nen Ja-oder-Nein-Ant­wor­ten zieht sich wie ein roter Faden durch die Stu­die. Sie fragt etwa auch, ob es „ver­schie­de­ne mensch­li­che Ras­sen“ gebe, und wer­tet die rund 50 Pro­zent zustim­men­den Ant­wor­ten als Beleg für „ras­sis­ti­sche Wis­sens­be­stän­de“, die „in der Bevöl­ke­rung tief ver­an­kert“ sei­en. Unklar bleibt aber, was sich die Befrag­ten unter dem Begriff vor­stel­len – und wie man nach Mei­nung der Autoren die Tat­sa­che begriff­lich fas­sen soll, dass Men­schen aus ver­schie­de­nen Erd­tei­len unter­schied­lich aus­se­hen. Die nahe­lie­gends­te Annah­me ist, dass die Befrag­ten schlicht dies mei­nen, ohne damit kon­kre­te Vor­stel­lun­gen von bio­lo­gi­schen Unter­schie­den oder gar einer Ungleich­wer­tig­keit zu verbinden.

Iro­ni­scher­wei­se han­del­te der Eröff­nungs­vor­trag des Phi­lo­so­phen Dani­el James auf der erwähn­ten Tagung zum Ras­sis­mus­mo­ni­tor davon, wel­cher der Begrif­fe „Ras­se“, „Race“ oder „ras­si­fi­zier­te Grup­pe“ am bes­ten geeig­net sei, um über „Ras­se“ zu spre­chen. Ein wenig nei­disch merk­te James an, dass die Ame­ri­ka­ner mit dem Begriff „ent­spann­ter“ umgin­gen als die Deutschen.

Man braucht dem­nach den Aus­druck „Ras­se“ oder einen geeig­ne­ten Ersatz, weil es unter­schied­li­che mensch­li­che Abstam­mungs­li­ni­en nun ein­mal gibt und sie bis auf Wei­te­res bedeut­sam blei­ben, da sie mit Aus­se­hen, Her­kunft, Kul­tur und Iden­ti­tä­ten ver­floch­ten sind. Doch wäh­rend die For­scher für sich selbst eine unta­de­li­ge, poli­tisch kor­rek­te Sprach­re­ge­lung fin­den, zwin­gen sie die Befrag­ten in eine unbe­frie­di­gen­de Ja-oder-Nein-Alter­na­ti­ve hin­ein und wer­ten das, was wahr­schein­lich bei den meis­ten nur die Benen­nung einer offen­sicht­li­chen Tat­sa­che ist, als „ras­sis­ti­schen Wissensbestand“.

Dies geht so weit, dass auf der Tagung wie in der Stu­die ver­schie­dent­lich der Ver­dacht geäu­ßert wird, dass Spre­cher mit alter­na­ti­ven Aus­drü­cken wie „eth­ni­sche Grup­pe“ und sogar „Kul­tur“ oder „Reli­gi­on“ eigent­lich doch wie­der nur „Ras­se“ mein­ten und so ihre „ras­sis­ti­schen Wis­sens­be­stän­de“ offenbarten.

Was unerwähnt bleibt

Auf­schluss­reich ist auch, was die Stu­die nicht erwähnt. Sie unter­nimmt kei­nen Ver­such, den Ras­sis­mus in Deutsch­land in his­to­ri­scher oder glo­ba­ler Hin­sicht ein­zu­ord­nen. Gibt es viel oder wenig davon? Wel­che Trends sind zu erken­nen? Es fehlt jeder Vergleichsmaßstab.

Der „World Values Sur­vey“, eine regel­mä­ßi­ge inter­na­tio­na­le Befra­gung zu Wert­vor­stel­lun­gen, zeich­net zumin­dest ein unge­fäh­res Bild davon, in wel­chem Umfang ras­sis­ti­sche Ein­stel­lun­gen in ver­schie­de­nen Län­dern vor­herr­schen. Wie vie­le Men­schen ant­wor­ten auf die Fra­ge, wen sie nicht als Nach­barn haben wol­len – Gau­land lässt grü­ßen –, „Leu­te einer ande­ren Rasse“?

Für das Jahr 2020 sind Daten aus 77 Län­dern vor­han­den. Die Lis­te wird ange­führt von Bur­ma (70 Pro­zent), Viet­nam (62 Pro­zent), Macau (43 Pro­zent), der Tür­kei (41 Pro­zent) und dem Liba­non (36 Pro­zent). Die drei am wenigs­ten ras­sis­ti­schen Län­der sind nach die­sem Indi­ka­tor Island (1,7 Pro­zent), Bra­si­li­en (1,4 Pro­zent) und Schwe­den (1,0 Pro­zent). In Deutsch­land geben 3,7 Pro­zent die­se Ant­wort, in den USA sind es drei Pro­zent. Im Jahr 1984, aus dem erst­mals Daten vor­lie­gen, waren es in Deutsch­land noch elf und in den USA acht Prozent.

Die­se Ant­wor­ten sind nur ein gro­bes Maß, doch man kann nicht grund­sätz­lich bestrei­ten, dass ras­sis­ti­sche Ein­stel­lun­gen in west­li­chen Län­dern seit der Mit­te des 20. Jahr­hun­derts stark zurück­ge­gan­gen sind. Und dafür müss­ten sich Ras­sis­mus­exper­ten doch eigent­lich stark inter­es­sie­ren, wenn ein wei­te­rer Rück­gang ihr Ziel ist. Denn wenn man weiß, wel­che Umstän­de den Abwärts­trend bewirkt und ermög­licht haben, kann man sich bemü­hen, sie zu pflegen.

Die erstaunlichste Lücke

Die Kern­the­se des Gan­zen ist, dass die eigent­li­che sozia­le Funk­ti­on von Ras­sis­mus dar­in bestehe, sozia­le Ungleich­heit zu schaf­fen und zu legi­ti­mie­ren. Vor die­sem Hin­ter­grund wür­de es nahe­lie­gen, zunächst ein­mal eine Bestands­auf­nah­me der sozia­len Ungleich­heit durch­zu­füh­ren. Im nächs­ten Schritt könn­te man dann ana­ly­sie­ren, zu wel­chem Anteil sie sich auf Ras­sis­mus zurück­füh­ren lässt, und nach Mög­lich­kei­ten suchen, benach­tei­lig­ten Grup­pen zu helfen.

Die Com­mis­si­on on Race and Eth­nic Dis­pa­ri­ties, von der bri­ti­schen Regie­rung im Jahr 2020 ein­ge­setzt, hat die­sen Weg beschrit­ten. Die elf Kom­mis­si­ons­mit­glie­der, zehn davon „Peo­p­le of Color“, nah­men eine umfas­sen­de Ana­ly­se des vor­han­de­nen Daten­ma­te­ri­als vor, um die sozia­le Ungleich­heit im Ver­ei­nig­ten König­reich aus­zu­lo­ten und nach Ursa­chen und Lösun­gen zu suchen.

Ergeb­nis war unter ande­rem, dass Ras­sis­mus durch­aus vor­han­den sei, aber als Ursa­che von Ungleich­heit heu­te nur eine unter­ge­ord­ne­te Rol­le spie­le. Das zei­ge sich unter ande­rem dar­in, dass ver­schie­de­ne Ein­wan­de­rer­grup­pen in höchst unter­schied­li­chem Maß erfolg­reich sei­en, wäh­rend auf der ande­ren Sei­te auch Tei­le der ange­stamm­ten wei­ßen Bevöl­ke­rung in Armut leb­ten. Die Kom­mis­si­on iden­ti­fi­zier­te unter ande­rem Fami­li­en­ver­hält­nis­se als ent­schei­den­den Fak­tor des spä­te­ren Lebens­er­fol­ges oder ‑miss­erfol­ges und schlug eine Rei­he prak­ti­scher, evi­denz­ba­sier­ter Maß­nah­men gegen Ungleich­be­hand­lung und zur För­de­rung benach­tei­lig­ter Grup­pen vor.

Die Erwählten

Der Ras­sis­mus­mo­ni­tor dage­gen belässt es bei all­ge­mei­nen Ver­wei­sen auf Ungleich­heit und ver­zich­tet dar­auf, sie näher zu unter­su­chen. Wie kann das sein, wenn Ungleich­heit das Pro­blem ist, um das es letzt­lich geht?

Eine mög­li­che Erklä­rung fin­det sich in dem aktu­el­len Buch „Die Erwähl­ten: Wie der neue Anti­ras­sis­mus die Gesell­schaft spal­tet“ des afro­ame­ri­ka­ni­schen Lin­gu­is­tik-Pro­fes­sors John McW­horter. Sei­ne The­se: Der Anti­ras­sis­mus der drit­ten Wel­le, der maß­geb­lich von der soge­nann­ten Cri­ti­cal Race Theo­ry inspi­riert ist und seit etwa 2010 rasant an gesell­schaft­li­chem Ein­fluss gewinnt, ist im Kern weder Wis­sen­schaft noch Poli­tik, son­dern Reli­gi­on. Zen­tra­ler Glau­be die­ser Reli­gi­on ist, dass wei­ße Men­schen und ihre Gesell­schaf­ten zutiefst ras­sis­tisch sei­en – das ist die Erb­sün­de –, und ihre reli­giö­se Pra­xis besteht dar­in, dies über­all zu erken­nen, sicht­bar zu machen und anzu­pran­gern – auch wenn wir uns letzt­lich nie ganz von der Sün­de rein­wa­schen können.

Immunisierung gegen Kritik

Reli­giö­ses Den­ken zeigt sich recht deut­lich in der oben erwähn­ten Dia­gno­se „Abwehr­ver­hal­ten“, der die Stu­die ein gan­zes Kapi­tel wid­met. Damit wird jeder Wider­spruch gegen das Vor­ge­tra­ge­ne als ungül­tig und unmo­ra­lisch abge­stem­pelt. Das Kon­zept ent­spricht etwa dem der „wei­ßen Fra­gi­li­tät“, das die Päd­ago­gin Robin DiAn­ge­lo in ihrem Best­sel­ler „White Fra­gi­li­ty“ aus­führt. Im Kern: Wenn Wei­ße abstrei­ten, ras­sis­tisch zu sein, beweist das nur, dass sie ras­sis­tisch sind.

Eine sol­che dog­ma­ti­sche Gewiss­heit, die sich über gegen­läu­fi­ge empi­ri­sche Befun­de hin­weg­setzt und mit der vol­len Wucht mora­li­scher Ver­ur­tei­lung ver­tei­digt wird, ist ein Bruch mit allem, was Wis­sen­schaft und eine auf­ge­klär­te Gesell­schaft aus­macht. Eben­so hat die Annah­me nichts mit wis­sen­schaft­li­chem Wis­sen zu tun, dass sich bei­spiels­wei­se Armut unter eth­ni­schen Min­der­hei­ten am bes­ten bekämp­fen las­se, indem sich die Wei­ßen im betref­fen­den Land obses­siv mit dem eige­nen Ras­sis­mus befas­sen. Sie ist ein Glau­be. Ein ent­spre­chen­der Wirk­me­cha­nis­mus ist weder bekannt, noch wird er über­haupt ernst­haft gesucht.

Die For­schung zu Diver­si­ty-Schu­lun­gen, die man als Anhalts­punkt neh­men könn­te, zeigt desas­trö­se Ergeb­nis­se. Sie brin­gen vie­len Stu­di­en zufol­ge gar nichts oder wir­ken durch eine Rei­he uner­wünsch­ter psy­cho­lo­gi­scher Effek­te sogar nega­tiv. Sie erzeu­gen Trotz, ver­stär­ken essen­zia­lis­ti­sches Den­ken, set­zen Ste­reo­ty­pe erst in die Köp­fe hin­ein oder leh­ren Min­der­hei­ten gera­de­zu, ihr sozia­les Umfeld als feind­se­lig wahrzunehmen.

Ergebnisgleichheit als Maßstab

Für die neu­en Anti­ras­sis­ten ist jede Ungleich­heit zwi­schen eth­ni­schen Grup­pen ras­sis­tisch und unge­recht. Dies erklär­te etwa Merih Ates, wis­sen­schaft­li­cher Mit­ar­bei­ter des Ras­sis­mus­mo­ni­tors, in sei­ner Anmo­de­ra­ti­on des Panels zur Studie.

Doch wenn Men­schen als Hilfs­ar­bei­ter oder sogar Flücht­lin­ge in ein Land kom­men, viel­fach die Lan­des­spra­che nicht spre­chen, sich nicht aus­ken­nen, kei­ne Kon­tak­te haben und kei­ne kom­pa­ti­ble Aus­bil­dung mit­brin­gen – bedarf es dann einer beson­de­ren Erklä­rung, dass die­se Zuge­wan­der­ten im Durch­schnitt weni­ger ver­die­nen als Men­schen, die im Land auf­ge­wach­sen sind, des­sen Spra­che spre­chen und sein Bil­dungs­sys­tem durch­lau­fen haben? Wie könn­te es anders sein? Wie kann es nichts mit den Min­der­hei­ten­grup­pen selbst zu tun haben, dass man­che von ihnen im Durch­schnitt mehr und ande­re weni­ger ver­die­nen als die „nicht von Ras­sis­mus Betrof­fe­nen“? Und was für eine Poli­tik soll imstan­de sein, die­se Ungleich­heit aufzuheben?

Ibram X. Ken­di, US-Best­sel­ler­au­tor und pro­mi­nen­te popu­lis­ti­sche Stim­me des neu­en Anti­ras­sis­mus, hat dar­auf eine Ant­wort. Auch für ihn ist jede Ungleich­heit zwi­schen eth­ni­schen Grup­pen Ras­sis­mus. 2019 for­der­te er daher die Schaf­fung eines Ver­fas­sungs­zu­sat­zes, der bestim­men soll­te, dass eth­ni­sche Ungleich­heit als Beweis für ras­sis­ti­sche Poli­tik zu gel­ten habe. Wei­ter for­der­te er die Ein­rich­tung eines Minis­te­ri­ums für Anti­ras­sis­mus, besetzt mit Ras­sis­mus­exper­ten, die ein Veto­recht für alle poli­ti­schen Ent­schei­dun­gen sowie die Befug­nis haben soll­ten, „Dis­zi­pli­nar­maß­nah­men“ über Behör­den­ver­tre­ter zu ver­hän­gen, die „ihre ras­sis­ti­schen Poli­tik­kon­zep­te und Vor­stel­lun­gen nicht frei­wil­lig ver­än­dern“. Das wäre eine Diktatur.

Antirassismus als Vorstufe zum Kommunismus

Doris Lieb­scher, Lei­te­rin der Ombuds­stel­le der Ber­li­ner Lan­des­stel­le für Gleich­be­hand­lung, äußer­te in ihrem Vor­trag auf der Tagung einen Wunsch: Das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt möge in den nächs­ten Jah­ren ent­schei­den, dass es kei­nen Ras­sis­mus gegen Wei­ße gebe. Damit, so Lieb­scher, wären dann Quo­ten für „migran­ti­fi­zier­te und ras­si­fi­zier­te Men­schen“ nicht nur mög­lich, son­dern ver­fas­sungs­recht­lich gebo­ten. Auch dafür hat Ken­di eine grif­fi­ge For­mel: „Das ein­zi­ge Mit­tel gegen ras­sis­ti­sche Dis­kri­mi­nie­rung ist anti­ras­sis­ti­sche Diskriminierung.“

Doch allein mit Quo­ten ist weder die sozia­le Ungleich­heit noch der alles durch­drin­gen­de Ras­sis­mus über­wun­den. Sie könn­ten daher nur ein beschei­de­ner Anfang sein. Cihan Sinanoğ­lu, Lei­ter des Ras­sis­mus­mo­ni­tors, bringt auf Twit­ter regel­mä­ßig zum Aus­druck, wie er Deutsch­land und Euro­pa ver­ab­scheut, was wie­der­um die Tie­fe der Ver­än­de­run­gen erah­nen lässt, die er für nötig hält.

Der Bruch

Nach Ibram X. Ken­di muss ein Anti­ras­sist auch Anti­ka­pi­ta­list sein. Sinanoğ­lu wird dem nicht wider­spre­chen. Am 14. Mai bemerk­te er: „Kapi­ta­lis­mus und Ras­sis­mus sind untrenn­bar mit­ein­an­der ver­wo­ben.“ Am 31. Mai: „Die Arbeiter*innen ver­die­nen nicht mehr ‚Fair­ness‘ oder ‚Aner­ken­nung‘. Sie ver­die­nen vor allem ein Leben frei von Aus­beu­tung und Ent­frem­dung. Die­se sind kon­sti­tu­tiv für kapi­ta­lis­ti­sche Gesell­schaf­ten und las­sen sich nicht mit ‚Diver­si­ty-Kur­sen‘ abschaffen.“

Anfang Juni teil­te er auf Twit­ter das Pro­gramm der Kon­fe­renz „Socia­lism 2022 – Chan­ge Ever­y­thing“ und kurz dar­auf einen Tweet von Bini Adamc­zak, Autorin diver­ser Bücher über Kom­mu­nis­mus und Revo­lu­tio­nen: „Der Kom­mu­nis­mus exis­tiert nicht im Sin­gu­lar. Das Gemein­sa­me meint kei­ne Ein­heit, die alles umschließt, indem sie es einer Idee, einem Wil­len, einer Zen­tra­le unter­ord­net. Das Gemein­sa­me ist viel­mehr das, was die Vie­len mit­ein­an­der tei­len. Als Glei­che und Freie in Soli­da­ri­tät.“ Ein paar Tage spä­ter erklär­te er: „Man­che poli­ti­schen Ver­hält­nis­se, aber auch per­sön­li­che Bezie­hun­gen, las­sen sich nicht ver­söh­nen. Der Bruch ist die ein­zi­ge Mög­lich­keit, Neu­es zu den­ken und sich neu in Bezie­hung zur Welt zu setzen.“

Als das DeZIM am 20. Mai auf Face­book die Erhö­hung sei­ner För­der­sum­me ver­kün­de­te, wand­te es sich auch an die Ampel-Par­tei­en: „Wir dan­ken Bru­no Hönel und der Bun­des­tags­frak­ti­on Bünd­nis 90/Die Grü­nen, Eli­sa­beth Kai­ser und der SPD-Bun­des­tags­frak­ti­on sowie Clau­dia Raf­fel­hü­schen und der Frak­ti­on der Frei­en Demo­kra­ten im Deut­schen Bun­des­tag herz­lich für ihren Einsatz!“

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