I.
→ weiterlesenAlbigna
Letzten Sommer habe ich etwas Zeit in den Schweizer Bergen verbracht. Im Kanton Graubünden steht nahe dem Tal Bergell ein beeindruckendes Bauwerk: Die Staumauer des in 2162 Meter Höhe gelegenen Albignasees. Sie erzeugt seit ihrer Fertigstellung im Jahr 1959 Strom für das Elektrizitätswerk Zürich, schützt die Talbewohner vor Überschwemmungen und fungiert als Brücke. Sie misst bis zu 115 Meter Höhe mal 760 Meter Länge.
→ weiterlesenNew Guy
→ weiterlesenPut on your seatbelts, guys, because 2020 is going to be a crazy year, and who knows what direction it is going to go, but pay attention, because things are about to speed up.
Jonathan Pageau
In Stücken
»Was ich bewirke, begreife ich nicht; denn nicht, was ich will, treibe ich voran, sondern was ich hasse, das tue ich.« – Römer 7:15
→ weiterlesenWilde Horden im Internet: Ein Spezialfall des Mythos vom reinen Bösen
Anknüpfend an den vorangehenden Artikel über die Wahrnehmung ideologischer Gegner als böse gehe ich hier anhand von Beispielen auf eine Variante des Mythos des reinen Bösen ein, die uns im Internetzeitalter häufig begegnet. Ich bezeichne sie als »Wilde Horden«. Diese treten in Erzählungen auf, die besagen, dass da draußen bzw. im Internet eine wilde Horde ihr Unwesen treibe, die der Leser/Zuhörer fürchten und hassen soll. Solche Erzählungen haben die Funktion, ein Moralsystem zu reproduzieren und die Polarität von Gut und Böse zu schärfen, was die eigene Seite entsprechend heller als gut erstrahlen lässt. Wilde Horden sind ein dankbares Ziel für Projektionen des Bösen, weil sie furchteinflößend und zugleich anonym und nicht greifbar sind. Will man konkrete Personen beschuldigen, braucht man Beweise und muss sich der Verteidigung der Beschuldigten stellen. Wilde Horden hingegen können sich nicht und kann man nicht verteidigen. Wilde-Horden-Erzählungen stabilisieren moralische Gemeinschaften, doch auf gesamtgesellschaftlicher Ebene zerstören sie Vertrauen.
→ weiterlesenWarum wir ideologische Gegner als bösartig wahrnehmen
Das Böse betritt die Welt meist unbemerkt von denjenigen, die ihm die Tür öffnen und es einlassen. Die meisten Menschen, die Böses tun, sehen ihre Taten nicht als böse an. Das Böse existiert primär im Auge des Betrachters, insbesondere des Opfers.
Roy Baumeister in: »Evil: Inside Human Violence and Cruelty« (Deutsch: »Vom Bösen: Warum es menschliche Grausamkeit gibt«), meine Übersetzung
Im linken wie im rechten Lager erklärt man sich die abweichenden Standpunkte der Gegner häufig damit, dass diese von zerstörerischen Absichten getrieben seien. Damit kontrastieren in der Wahrnehmung die jeweils eigenen Absichten, die man für gut, produktiv und menschenfreundlich hält. Der Vorwurf an die Gegenseite, von Bosheit getrieben zu sein und zerstören zu wollen, kommt in vielen Formen vor. Eine der häufigsten ist heute die Anklage des Hasses. Weitere Beispiele sind »Hetze«, »Faschisten«, »menschenverachtend«, »Demokratiefeinde«, »Verfassungsfeinde« und »die Masken fallen«. Sie alle wollen darauf hinaus, dass der Gegner insgeheim bösartige, zerstörerische Absichten verfolge.
In diesem Artikel argumentiere ich auf Basis des eingangs zitierten Buches von Baumeister, dass die Wahrnehmung des politischen Gegners als böse ein psychologischer Reflex ist, der das Denken verzerrt, die Kommunikation behindert und zur Eskalation der gegenseitigen Feindseligkeiten beiträgt. Indem wir uns diese Mechanismen bewusst machen, können wir ihnen besser widerstehen.
→ weiterlesenDie Empathielücke und die Krise der Männlichkeit
Dieser Text erschien ursprünglich in meinem alten Blog als Beitrag zum Tag der Geschlechter-Empathielücke am 11. Juli 2018. Ein Jahr später veröffentliche ich ihn hier geringfügig überarbeitet wieder. Im Alternativlos-Aquarium finden Sie weitere Informationen und Beiträge zum Thema.
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»Es ist gut, wenn weinende Männer im Fernsehen gezeigt werden«.
Diesen Satz hörte ich neulich in einer Kneipenrunde, die sich zum WM-Spiel Kolumbien gegen England versammelt hatte. Nach Verlängerung und Elfmeterschießen hatte England gewonnen. Eines der Stimmungsbilder nach dem Abpfiff zeigte einen kolumbianischen Spieler auf der Bank, der sichtlich niedergeschlagen war und Tränen in den Augen hatte.
Dazu äußerte eine junge Frau am Tisch obigen Satz. Jemand anderes in Hörweite, männlich, pflichtete nachdrücklich bei, als hätte sie etwas Profundes gesagt, das man gar nicht oft genug wiederholen kann.
Dies stellte mich vor ein Dilemma. Sollte ich schweigen oder ihre Äußerung zurückweisen und damit eine politische Diskussion vom Zaun brechen?
Trotz innerem Protest zu schweigen ist immer eine Unehrlichkeit gegenüber anderen und sich selbst. Zu widersprechen andererseits birgt bei sensiblen Themen eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass daraus Kontroversen folgen, die leicht eine Stunde oder auch den ganzen Abend dauern können. Dabei wollten wir alle uns doch nur in freundlicher Gesellschaft entspannen. Habe ich das Recht, den Abend in Beschlag zu nehmen? Und habe ich Lust dazu?
Es gäbe theoretisch auch den Mittelweg, höflich und diplomatisch zu widersprechen statt »Bullshit« zu sagen, wie es mir auf der Zunge lag, oder vorsichtig nachzufragen, was sie meinte. Aber auch das wäre unehrlich gewesen, denn ich will mir gar nicht zum x‑ten Mal den immer gleichen, modisch männerfeindlichen Quatsch anhören, dass traditionelle Männlichkeit »toxisch« sei und Männer mehr wie Frauen werden müssten und/oder mehr Feminismus brauchten.
Wie klingt die Gegenprobe: »Es ist gut, wenn weinende Frauen im Fernsehen gezeigt werden«. Würde man das in einer geselligen Runde sagen, mit einem Ausdruck der Genugtuung beim Anblick einer weinenden Frau? Wie würden die Leute darauf reagieren?
Moralisierung macht blind für Kausalität
Für den hier angekündigten Artikel über das Verhältnis von Links und Rechts zu Gut und Böse beschäftige ich mich gerade mit dem interessanten Buch »Evil: Inside Human Violence and Cruelty« (»Vom Bösen: Warum es menschliche Grausamkeit gibt«) von dem Sozialpsychologen Roy Baumeister. Aus dem Artikel werden wahrscheinlich mehrere und ich brauche noch Zeit dafür. (Nachtrag: der erste ist »Warum wir ideologische Gegner als bösartig wahrnehmen«.) In der Zwischenzeit brachte ein Abschnitt aus besagtem Buch mir eine Beobachtung wieder stärker zu Bewusstsein, die ich schon öfter angestellt hatte und im Folgenden nachzeichne.
Es geht um die Beobachtung, dass wir nicht nur schlecht darin sind, in Kausalitäten zu denken, also in Ursachen und Wirkungen, sondern dass wir es bei moralisierten oder sakralisierten Themen anscheinend gar nicht ernsthaft versuchen. Das ist paradox, denn wenn wir Ziele verfolgen, die uns heilig sind, sollten wir uns besonders vergewissern wollen, dass unsere Mittel geeignet sind, die Ziele zu erreichen. Doch das scheint nicht der Fall zu sein. Im Gegenteil zeigen wir ein auffälliges Desinteresse bis hin zu aktiver Abneigung gegen eine Kritik der Mittel.
→ weiterlesenOffenheit versus Gewissenhaftigkeit: Der psychologische Unterschied zwischen Linken und Rechten
Man erzählt niemandem etwas Neues, wenn man sagt, dass die Spannungen zwischen dem linken und dem rechten Flügel in Politik und Bevölkerung in den letzten Jahren gefährlich angestiegen sind. In einem großartigen improvisierten Vortrag über die Meinungsfreiheit warnte Hamed Abdel-Samad schon im Herbst 2015 davor, unseren »geistigen Bürgerkrieg« in einen tatsächlichen Bürgerkrieg eskalieren zu lassen.
Wie viele andere sieht er in der Meinungsfreiheit das geeignete Mittel, um diese Eskalation zu verhindern. Durch sie können Menschen ihre Meinungsverschiedenheiten mit Worten statt Fäusten austragen. Durch sie finden sie Kompromisse, in denen sich jeder Beteiligte vertreten fühlen kann. Dies ermöglicht es allen, eine gewisse Loyalität dem großen Ganzen gegenüber zu bewahren, statt sich von der Mehrheit oder den Mächtigen tyrannisiert zu fühlen.
Dieser Artikel soll zu einem klareren Verständnis dessen beitragen, was Rechte und Linke allgemein auf psychologischer Ebene unterscheidet. Dieses Verständnis hilft, die komplementäre Berechtigung beider zu sehen und sich von den wechselseitigen Dämonisierungen zu lösen, die Feindschaft und Irrationalität eskalieren lassen und damit eine Diskussion unmöglich machen.
homo duplex
Ich habe den Namen dieses Blogs in »homo duplex« geändert. Der ursprüngliche Name »Culture War« gefiel mir in der Praxis nicht mehr.
Er traf zwar einigermaßen das Thema, um das die Artikel hier kreisen, war mir aber schlicht zu aggressiv. Es setzt den falschen Rahmen, wenn dem Leser immer als erstes die Idee »Krieg« entgegenprangt. Es lässt einen eher in Deckung gehen und nach dem Feind Ausschau halten, legt also nahe, sich in eine Kriegslogik hineinziehen zu lassen. Das ist nicht mein Ziel. Vielmehr geht es darum, dieses Kriegsgeschehen zu transzendieren, indem ich versuche, von einer höheren Warte aus dessen Dynamik aufzuschlüsseln, wohl wissend, dass ich selbst darin verstrickt bin. Soweit das gelingt, wird das allgemein Menschliche wieder sichtbar, das uns verbindet. Der Begriff »Culture War« im Vordergrund war thematisch treffend und prägnant, führte aber psychologisch in die falsche Richtung.
Auf der Suche nach Alternativen kam ich bald auf »homo duplex«. Dies ist ein Konzept des Soziologen Émile Durkheim, auf das ich über den Psychologen Jonathan Haidt gestoßen bin, der es zustimmend aufgreift. Es bedeutet soviel wie »der doppelte Mensch«. Die zwei Existenzen des Menschen, die Durkheim damit meinte, sind die individuelle und die soziale. Man könnte auch sagen: die äffische und die göttliche.
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