Put on your seatbelts, guys, because 2020 is going to be a crazy year, and who knows what direction it is going to go, but pay attention, because things are about to speed up.
Jonathan Pageau
Der kanadische Ikonenschnitzer Jonathan Pageau kommentiert auf YouTube das Zeitgeschehen unter dem Gesichtspunkt symbolischer Bedeutungen, oder man könnte auch sagen, im Rahmen eines nicht materiellen, sondern spirituellen Weltbildes. Während der gewohnte wissenschaftlich materialistische Zugriff fragt, wie Dinge zusammengesetzt sind und funktionieren, geht es dem symbolischen darum, was sie bedeuten.
Ordnung, Chaos, verkehrte Welt und Inversion
Ein Ausdruck, der hier häufig vorkommt, ist »Inversion«, also Umkehrung. Wir leben in einer verkehrten Welt, in der die Dinge auf dem Kopf stehen und sich in ihr Gegenteil verkehren. Ein Beispiel dafür ist der Versuch der Neuen Linken, herkömmliche soziale Hierarchien abzuschaffen, der zur Errichtung einer neuen, invertierten Hierarchie führt, der Opferhierarchie. Oder der Versuch Hollywoods, den männlichen Heroismus aus dem Zentrum zu drängen, der aber nur dazu führt, dass Frauengestalten mit denselben männlichen Eigenschaften im Mittelpunkt stehen, wie sie früher die männlichen Protagonisten aufwiesen. Gewisse Grundformen des Lebens sind gesetzt. Man kann sie auf den Kopf stellen und verdrehen, aber nicht überwinden. Teils ergeben sich Inversionen also von selbst, teils werden sie bewusst betrieben.
Normalerweise hat das gesellschaftliche Leben ein Zentrum und eine Peripherie. Im Zentrum stehen die Ideale und Praktiken, die das Ganze definieren und zusammenhalten. In der Peripherie herrscht Zwielicht und die Ordnung ist gelockert. Hier stößt man auf Ausnahmen, Kuriositäten und manchmal Monster. Jenseits der Peripherie liegt das Chaos.
Das Ganze lässt ein bisschen Chaos zu, um sich zu stabilisieren und das totale Chaos zu vermeiden. Dies drückt sich etwa im Tag-Nacht-Zyklus aus. Tags arbeiten wir und wenden im Einklang mit den Normen der Kultur unsere gesamte Selbstkontrolle auf. Nachts feiern wir (»Feierabend«), lassen uns also ein wenig gehen und leben unsere Bedürfnisse und Affekte stärker aus, manchmal bis zum Exzess. Im Schlaf versinken wir im Chaos. Die Struktur des Bewusstseins bricht zusammen, wir verlieren die Selbstkontrolle und geistern in wundersamen Traumwelten herum, wo die bekannten Regeln nicht gelten und wir auf die bereits erwähnten Monster stoßen. Auch die Arbeitswoche mit Wochenende und Jahreszeiten wie der Karneval haben diese zyklische Struktur und Funktion.
Würden wir versuchen, nie zu entspannen oder zu schlafen, wäre der individuelle und kollektive Zusammenbruch absehbar. Wir lassen ein bisschen Chaos zu, um das wirkliche Chaos auf Distanz zu halten. Der Versuch, das Chaos auszumerzen, wäre ein absoluter Totalitarismus, der sich nicht lange halten könnte. Die kontrollierten Exzesse des Feierabends, des Wochenendes und des Karnevals sind antitotalitäre Institutionen. Sie schützen uns davor, die Dinge und uns selbst zu ernst zu nehmen.
Die moderne Gesellschaft hat ihr Zentrum verloren. Der Zyklus funktioniert nicht mehr, die Dinge drehen frei, Normales wird marginalisiert und die Peripherie dringt in die Mitte vor. Eines der deutlichsten Anzeichen dafür ist die Anbetung von Schauspielern und Musikern in unserer Zeit.
Send in the Clowns
Unterhaltung und das Spiel der Fantasie gehören in die Peripherie. Früher hatten insbesondere Schauspieler einen eher niedrigen sozialen Status und wurden beargwöhnt. Das ist kein Wunder, denn sie verkörpern Chaos, indem sie ständig die Identität wechseln und Illusionen erzeugen. Sie sind mehr Fantasie, Traum und Gefühl als Wirklichkeit. Sie sind sozusagen nicht ganz echt. Wenn alle ständig täten, was sie tun, zerfiele die Gesellschaft in Orientierungslosigkeit und Wahnsinn.
Ein anderes Anzeichen ist der Auftritt der Clowns. Clowns sind noch eindeutiger Boten des Chaos und Geschöpfe der Peripherie. Sie symbolisieren den Zerfall der Ordnung – alles geht schief, Lachen und Weinen sind eins, die Schuhe sind zu groß, die Torte wird nicht verspeist, sondern ins Gesicht geklatscht.
Vor einigen Jahren hatten wir die Horror-Clown-Sichtungen, dann die »Es«-Verfilmung, im vergangenen Jahr das »Clown World«-Meme und den überwältigenden Erfolg des Films »Joker«. Interessanterweise ist Clown Pepe, das Symbol der Clown World, ein Frosch, der als Amphibium ebenfalls ein Geschöpf der Peripherie ist: Land ist Ordnung, Wasser ist Chaos.
Offen ist, ob die Clowns einfach nur aus der Peripherie entkommen, weil sich die Struktur des Ganzen auflöst, oder ob sie eine bestimmte Funktion haben. Normalerweise verwandeln sie Ordnung in Chaos. Vielleicht können sie auch das Gegenteil bewirken, wenn Chaos zur Normalität geworden ist? Vielleicht können sie die Narren sein, die uns die Augen für die Einsicht öffnen, dass wir alle zu Narren geworden sind? Das wäre eine Inversion der Inversion.
New Guy: Güte als Feindbild und seine Inversion
An den ersten Tagen des Jahres 2020 spielt sich nun etwas ab, dass mich mit unwirklicher Deutlichkeit an das Konzept der Inversion und an die Prophezeiung erinnert, dass die Drehzahl in diesem Jahr weiter steigen wird: das »New Guy«-Meme.
Es entstand nach der viralen Verbreitung eines Cartoons aus der Feder einer Zeichnerin aus den Kreisen der sogenannten SJWs, Social Justice Warriors, also der radikalen Neuen Linken, die das gesellschaftliche Leben auf eine ungleiche Verteilung von Macht und Unterdrückung reduziert, wobei sie erstere zu erringen und letztere zu bekämpfen versucht und dabei immer mehr selbst zur Unterdrückerin wird. Womit wir wieder beim Thema Inversion sind.
(Mit »gamer-bro« ist wohl der Youtuber Pewdiepie gemeint, bei dem Anfang Dezember eingebrochen wurde.)
So unglaublich es ist: Die junge Frau mit den lila Haaren ist die fiktionalisierte Stellvertreterin der Zeichnerin. Diese Verkörperung von Bitterkeit und Gehässigkeit soll die Sympathieträgerin der Geschichte sein, und »New Guy« der Schurke. Dass er grundlegenden ethischen Prinzipien folgt und ehrlich und freundlich ist, macht ihn in ihren Augen zu einem unerträglichen Idioten.
Am ersten Januar begann der schon im Dezember veröffentlichte Cartoon sich viral zu verbreiten, #newguy wurde zum Twitter-Trend. Nutzer antworteten mit selbstgemachten Bildchen, die »New Guy« als das feiern, was er versehentlich schon im Originalcartoon war – nicht besonders klug oder schön, aber ein guter, liebenswerter Kerl mit intaktem moralischem Kompass.
Wann hat zuletzt ein virales Internetmeme so viel positive Energie verströmt?
In einem Video kommentiert jemand mit dem Alias ShortFatOtaku den Vorgang und wundert sich über die Selbstidentifizierung der Neuen Linken mit dem Bösen. So wurde etwa Pennywise, das Monster in Clowngestalt aus »Es«, das brutal reihenweise Menschen umbringt, vorzugsweise Kinder, von neulinken Aktivisten als LGBT-Verbündeter gefeiert – bis er in der Fortsetzung einen Schwulen umbrachte (hätte man vong Buch her wissen können, aber gut). Auch dies eine folgenreiche Inversion: Aus einer Ideologie der absoluten Gleichheit erwächst eine Strategie der konsequenten Ungleichbehandlung.
Das Ganze zeigt noch einmal, dass diese heute dominante linke Strömung die gesamte soziale Wirklichkeit durch die Brille ihres pervertierten und diversifizierten Klassenkampfkonzepts wahrnimmt. Wenn einem reichen Weißen wie Pewdiepie etwas Schlechtes widerfährt, dann muss man geradezu gehässig und schadenfroh sein, weil jede Verletzung einen Unterdrücker schwächt und damit etwas Gutes ist. Indem »New Guy« das nicht versteht, wird er augenblicklich zum Feind, und dann darf und muss man auch zu ihm unausstehlich sein.
Die Neue Linke hat sich in eine Lage manövriert, in der das, was aus ihrer Sicht richtiges und gebotenes Verhalten ist, identisch ist mit dem, was andere intuitiv als falsch und bösartig erkennen. Ähnliches geschieht, wenn sie Polizisten ins Krankenhaus bringen, Autos Unbeteiligter abfackeln oder morgens im Berufsverkehr eine Kreuzung blockieren.
Doch nicht nur Randalierer und Twitternutzer agieren im Geist dieser zur Tugend erklärten Gehässigkeit. Sie wird auch von staatlich geförderten NGOs und Stimmen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk gelebt und propagiert. Alle Menschen stehen demzufolge auf Basis ihrer Hautfarben, Geschlechter, sexuellen Orientierungen und – potenziell unendlich vieler – weiterer Merkmale in einer multidimensionalen Täter-Opfer-Hierarchie. Denjenigen, die darin höher stehen, ist man kein ethisches Verhalten schuldig. Im Gegenteil. Bösartigkeit gegenüber Höherstehenden und solchen, die bei dieser Programmatik nicht mitgehen, ist ein Beitrag zu einer besseren Welt. Das Ressentiment ist hier das einzige verbliebene moralische Prinzip.
Ein Hauptproblem dabei ist, dass jeder entlang irgendeiner Dimension gegenüber irgendeinem anderen privilegiert ist und somit jeder als Täter entlarvt werden kann. Eine inflationäre Vermehrung von Unterdrückern und ihren Komplizen hat bereits in der Sowjetunion die Gulags wachsen lassen, nachdem die Tugendwächter ihre Arbeit aufgenommen hatten. Heute hat die Intersektionalität den Katalog der Tätermerkmale noch einmal ausgeweitet. Und es verwundert auch nicht, dass Menschen bitter werden, deren Ideologie sie überall nur Täter, Opfer und Misshandlungen letzterer durch erstere sehen lässt, bis hin zum eigenen Spiegel.
Die Vertreter der politischen Korrektheit, die mehr als alle anderen für sich in Anspruch nehmen, »die Guten« zu sein, sehen sich außerstande, ihren Mitmenschen mit Anstand und/oder Freundlichkeit zu begegnen und finden Tugend im Bösen. Ihre Gegner, die laut westlichen Regierungen, NGOs und Medien primär für »Hass und Hetze« stehen, feiern mit viral verbreiteten Memes ethisches Verhalten und menschliche Wärme.
Und das Jahr ist noch nicht einmal eine Woche alt. Pageau hat nicht zu viel versprochen.
Da isser wieder!
¯\_(ツ)_/¯