Der Dilbert-Cartoonist und Politkommentator Scott Adams leitet manchmal Tweets weiter, denen er nur das Hashtag #artist hinzufügt. Er nimmt damit Bezug auf einen Abschnitt in seinem Buch »Loserthink«, wo es darum geht, dass manchmal Künstler, die in ihren jeweiligen Disziplinen noch so brillant sein mögen, mangels Wissen oder Fähigkeit zu kritischem Denken plötzlich geradezu unmündig erscheinen, wenn sie sich zu Themen des Zeitgeschehens äußern.
Die Aktion #allesdichtmachen (gute Überblicke hier und hier) könnte ein seltener Fall sein, in dem diese politische Unbedarftheit insbesondere von Schauspielern (sorry) einmal zu etwas Bemerkenswertem geführt hat, das Spuren hinterlässt.
Ich will die Beteiligten nicht bashen und auch nicht über einen Kamm scheren. Aber dass schon nach rund zwei Tagen 16 von den ursprünglichen 53 ihre Beiträge gelöscht und sich distanziert hatten, lässt erkennen, dass nicht allen klar war, worauf sie sich einließen. Dabei war das heftige Echo nicht nur absehbar, sondern auch in den Beiträgen selbst vorweggenommen. Jens Wawrczek etwa persifliert das Klischee »Applaus von der falschen Seite«, Hanns Zischler distanziert sich »von allem, was auf dieser Seite zu sehen sein wird«, von sich selbst und »von morgens bis abends«.
»Es ist alles gesagt worden, aber noch nicht von jedem«, heißt es manchmal. Hier liegt die Explosivkraft darin, dass alles schon gesagt worden ist, was diese Videos transportieren, aber noch nicht von Akteuren, die erstens eigentlich zur guten Gesellschaft gehören und zweitens damit so gebündelt auftreten, dass man sie nicht alle exkommunizieren kann.
Es ist eine Erschütterung der dominanten Erzählung über die Corona-Maßnahmen. Da überrascht es nicht, dass bei manchen die Sicherungen durchknallen. Wir haben alle notgedrungen und mehr oder weniger überzeugt ein Jahr lang in diese Erzählung investiert. Die Glaubwürdigkeit von Regierung und Medien hängt daran. Was wäre, wenn sie zusammenbräche? Wir stünden vor dem Chaos.
Aus diesem Zusammenhang entsteht die Assoziation von Maßnahmenkritik mit »rechts«. Es ist eine Haltung, die sich gegen die herrschenden Autoritäten richtet und für individuelle Freiheit plädiert. Daran ist zunächst einmal nichts rechts. Doch die politische Rechte ist in der Defensive und Opposition, und dort nutzt sie jede Vorlage, die sich bietet, die Regierung anzugreifen. Dies wiederum ist umgekehrt eine Vorlage für regierungsfreundliche Akteure, Regierungskritik als rechts zu charakterisieren. Auch das ist bei »Allesdichtmachen« schwierig. Man kann den Schauspielern vorwerfen, den Rechten in die Hände zu spielen, aber dass sie selbst rechts seien, wird niemand ernstlich glauben.
Im Kern geht es nicht um rechts und links, sondern um Vertrauen vs. Misstrauen gegen die gesellschaftlichen Autoritäten. Es wäre wichtig, dass die Vertreter dieser beiden Lager nicht ganz verlernen, miteinander zu kommunizieren. Sonst prägt sich in beiden ein Blasendenken aus, das der Komplexität der Wirklichkeit nicht gerecht wird. Je mehr dies im Regierungslager passiert, desto mehr Fundamentalopposition von Leuten bildet sich, die wiederum im Regierungslager nicht ernst genommen werden, weil es an Verständnis und Empathie für ihre Anliegen fehlt. Das bedeutet mehr autoritäres Durchregieren anstelle demokratischer Aushandlung und mehr Konflikt.
Hinsichtlich der Corona-Thematik kann ich gut verstehen, dass manche die hämische Ironie der Videos als geschmacklos empfinden. Man kann ihnen auch vorwerfen, dass sie keine Lösungen oder Alternativen aufzeigen. Es ist eine interessante Vorstellung, was wäre, wenn sie in den Clips konkrete, begründete Kritikpunkte an der Lockdown-Politik vorgetragen hätten. Vielleicht hätte man die Aufmerksamkeit so besser, produktiver nutzen können.
Doch wenn man die Aktion als Kommentierung nicht so sehr der Lockdown-Politik, sondern der Konformität und Intoleranz der öffentlichen Meinung liest, dann trifft sie ins Schwarze. Und dann ist auch ihre Schärfe und Anstößigkeit gerechtfertigt, denn sie ist nötig, um sichtbar und fühlbar zu machen, worum es geht. Aus Meinungskorridoren auszubrechen geht nicht ohne Schmerzen.
Vielleicht gehören die 53 37 Schauspieler zu den Narren und Clowns, die die Narren- und Clownwelt wieder vom Kopf auf die Füße stellen.