Gibt es wirklich keinen Rassismus gegen Weiße?

Die­ser Bei­trag ist ursprüng­lich online am Don­ners­tag, den 14. Okto­ber und gedruckt in der Wochen­end­aus­ga­be vom 16./17. Okto­ber 2021 in der Ber­li­ner Zei­tung erschie­nen. Fol­gen­de Fas­sung ist – abge­se­hen von zwei Links, die ich hin­zu­ge­fügt habe – mit der dort ver­öf­fent­lich­ten identisch.


Sarah-Lee Hein­rich wird Ras­sis­mus gegen Wei­ße unter­stellt. Hein­richs Unter­stüt­zer sagen: So etwas gibt es gar nicht. Unser Autor hält dagegen.

Sel­ten reden Men­schen so sys­te­ma­tisch anein­an­der vor­bei wie beim The­ma „Ras­sis­mus gegen Wei­ße“. Denn der Streit dar­über, ob es die­sen gibt, dreht sich nicht um Fak­ten, son­dern um Defi­ni­tio­nen. Und die neue Defi­ni­ti­on, die Ras­sis­mus nur in einer Rich­tung zulässt, ent­spricht nicht dem, was die meis­ten Men­schen mei­nen, wenn sie von „Ras­sis­mus“ sprechen.

In den letz­ten Tagen haben alte Tweets von Sarah-Lee Hein­rich, der neu gewähl­ten Bun­des­vor­sit­zen­den der Grü­nen Jugend, die­se For­mel „Ras­sis­mus gegen Wei­ße“ wie­der ein­mal zum Twit­ter-Trend gemacht. Die­se Tweets, erwart­bar aus­ge­gra­ben von Geg­nern der Grü­nen, waren größ­ten­teils Niveau­lo­sig­kei­ten einer damals um die 14-Jäh­ri­gen aus dem Jahr 2016. Vie­les davon kann man als ver­zeih­li­ches jugend­li­ches Unsinn­re­den abha­ken. Dazu gehö­ren aber nicht Hein­richs Ein­las­sun­gen über Ras­sis­mus und wei­ße Men­schen, denn dabei geht es nicht nur um sie, son­dern um eine Ideo­lo­gie, die wei­ter ver­brei­tet ist und an Ein­fluss gewinnt.

Sawsan Chebli sagt, es gebe keinen Rassismus gegen Weiße

Zu den jetzt skan­da­li­sier­ten Äuße­run­gen gehört etwa die For­mu­lie­rung „eklig wei­ße Mehr­heits­ge­sell­schaft“, die Hein­rich 2019 in einer Talk­run­de des öffent­lich-recht­li­chen Sen­ders funk ver­wen­det hat. Dazu gab sie anschlie­ßend eine Erklä­rung ab, in der sie die Wort­wahl bedau­er­te, ihre Aus­sa­ge aber bestärk­te, dass die wei­ße Mehr­heits­ge­sell­schaft Nicht­wei­ße ras­sis­tisch aus­schlie­ße. Eini­ge der Jugend-Tweets schlu­gen in eine ähn­li­che Ker­be. In einem bekun­de­te Hein­rich, sie wol­le eines Tages mit einem Besen „alle wei­ßen Men­schen aus Afri­ka her­aus­keh­ren“. In einem ande­ren hieß es: „Ich has­se die Gesamt­heit der wei­ßen Men­schen, die davon pro­fi­tie­ren, dass mein Hei­mat­kon­ti­nent aus­ge­raubt wur­de“. In noch einem ande­ren kün­dig­te sie an, sich nach Afri­ka abzu­set­zen, „um ein Leben mit net­ten, nicht ras­sis­ti­schen Men­schen zu füh­ren“ (Recht­schrei­bung korrigiert).

Für man­che liegt es nahe, die­se Äuße­run­gen als ras­sis­tisch ein­zu­ord­nen. Ande­re fin­den das unmög­lich. Die SPD-Poli­ti­ke­rin Saw­san Che­b­li twit­ter­te: „Hab in mei­nem Freun­des­kreis immer wie­der Dis­kus­sio­nen über das The­ma Ras­sis­mus. Es gäbe auch Ras­sis­mus gegen Wei­ße. Sie wür­den ange­fein­det, gehasst, man­cher­orts benach­tei­ligt wer­den. Stimmt und ist nicht hin­nehm­bar, ist aber kein Ras­sis­mus.“ Dazu ver­link­te sie einen Kom­men­tar im Tages­spie­gel aus dem Som­mer 2020 mit der unmiss­ver­ständ­li­chen Über­schrift: „Es gibt kei­nen Ras­sis­mus gegen Wei­ße“. Dar­in heißt es etwa, sogar die deut­sche Bot­schaft in Kame­run habe ein­mal „die Mär vom ‚umge­kehr­ten Ras­sis­mus‘“ ver­brei­tet, als sie Bun­des­bür­gern in dem afri­ka­ni­schen Land riet, zu Hau­se zu blei­ben, da ihnen in der Öffent­lich­keit Gefahr durch „ras­sis­ti­sche Res­sen­ti­ments“ drohe.

Sarah-Lee Heinrichs Aussagen werden als erledigt betrachtet

Hier springt zwei­er­lei ins Auge. Ers­tens: dass wir es nicht mit strit­ti­gen Fak­ten zu tun haben, obwohl die Wort­wahl („es gibt kei­nen …“) die­sen Ein­druck erweckt. Die­je­ni­gen, die mei­nen, es gebe kei­nen Ras­sis­mus gegen Wei­ße, bestrei­ten nicht, dass Wei­ße gele­gent­lich Abwer­tung und Anfein­dung auf­grund der Haut­far­be erfah­ren. Der Tages­spie­gel-Kom­men­tar bestrei­tet nicht, dass zumin­dest zu einem bestimm­ten Zeit­punkt Wei­ße in Kame­run auf­grund ihrer Eth­ni­zi­tät Angst haben muss­ten, auf die Stra­ße zu gehen. Nur sorgt sich der Ver­fas­ser weni­ger über die­se Bedro­hungs­la­ge und die Feind­se­lig­keit dahin­ter als über die Mög­lich­keit, dass jemand „Ras­sis­mus“ dazu sagen könnte.

Die­se Sorg­lo­sig­keit ist das zwei­te, was an obi­gen Bei­trä­gen auf­fällt. Die Aus­kunft, es gebe kei­nen Ras­sis­mus gegen Wei­ße, hat rhe­to­risch den Cha­rak­ter einer Ent­war­nung. Sie besagt sinn­ge­mäß: „Wenn das Ras­sis­mus wäre, wäre es schlimm, doch zum Glück ist es kei­ner, also kön­nen wir zur Tages­ord­nung über­ge­hen.“ Und wie das Kame­ru­ner Bei­spiel zeigt, hat das ent­schei­den­de Kri­te­ri­um für die Ent­war­nung weni­ger damit zu tun, was pas­siert, als damit, wem es pas­siert. Eben­so in der aktu­el­len Situa­ti­on. Es ist unstrit­tig, dass Sarah-Lee Hein­rich Feind­se­lig­kei­ten gegen wei­ße Men­schen geäu­ßert hat. Doch mit der Fest­stel­lung, dass es sich dabei nicht um Ras­sis­mus hand­le, wird das The­ma als erle­digt betrachtet.

Ein Wort ist keine Gleichsetzung

Gele­gent­lich dient auch die Ein­ord­nung, das Wort „weiß“ ste­he für ein „sozio­lo­gi­sches Kon­strukt“ oder Ähn­li­ches, als Recht­fer­ti­gung offe­ner Feind­schaft bis hin zu Dämo­ni­sie­rung und Ver­nich­tungs­wün­schen, die dann gegen das „Weiß­sein“ oder die „Whiten­ess“ gerich­tet wer­den. Nach dem Mot­to: Es gehe ja nicht um Men­schen, son­dern um ein Prin­zip, eine Hal­tung – oder auch eine Krank­heit. So erschien im Mai in der Fach­zeit­schrift des ame­ri­ka­ni­schen Psy­cho­ana­ly­ti­ker-Ver­ban­des ein Fach­ar­ti­kel mit dem Titel „On Having Whiten­ess“, dem­zu­fol­ge man „Weiß­sein hat“ wie ein Lei­den, für das „wei­ße Men­schen beson­ders anfäl­lig“ sei­en. Dar­in heißt es: „Para­si­tä­res Weiß­sein macht die Gelüs­te des Wirts gie­rig, uner­sätt­lich und per­vers.“ Bis­lang, so der Autor, gebe es kei­ne Heilung.

War­um soll es nun kei­nen Ras­sis­mus gegen Wei­ße geben? Als mitt­le­re Linie der Begrün­dun­gen zeich­net sich ab, dass Ras­sis­mus ein Herr­schafts­sys­tem von Wei­ßen über Nicht­wei­ße sei, das von Euro­pä­ern und Ame­ri­ka­nern errich­tet wur­de und immer noch exis­tie­re oder zumin­dest nach­wir­ke. Im Rah­men die­ses Herr­schafts­sys­tems ist Ras­sis­mus die Unter­drü­ckung, die die Herr­schen­den den Beherrsch­ten antun, und logi­scher­wei­se kön­nen die­se den Spieß nicht ein­fach umdre­hen – das hat Herr­schaft so an sich.

Rassismus für die Erklärung von Ungleichheiten nur untergeordnet wichtig

Das ist erst ein­mal schlüs­sig. Doch es ist frag­lich, wie weit die Gül­tig­keit die­ser Gesamt­deu­tung in der Gegen­wart wirk­lich reicht. Wenn man auto­ma­tisch jede Ungleich­heit im sozia­len Sta­tus von Wei­ßen und Nicht­wei­ßen auf Ras­sis­mus zurück­führt, sieht man unver­meid­lich ras­sis­ti­sche Gesell­schaf­ten vor sich. Doch das ist ein Kurz­schluss, der im Licht über­prüf­ba­rer Tat­sa­chen nicht gerecht­fer­tigt ist.

Auf Basis umfas­sen­der Recher­chen und Daten­ana­ly­sen stell­te zuletzt etwa die Com­mis­si­on on Race and Eth­nic Dis­pa­ri­ties der Bri­ti­schen Regie­rung im Früh­jahr fest, dass heu­ti­gem Ras­sis­mus bei der Erklä­rung bestehen­der Ungleich­hei­ten im Ver­ei­nig­ten König­reich nur eine unter­ge­ord­ne­te Bedeu­tung zukom­me. Dar­auf deu­tet auch die Tat­sa­che hin, dass der Erfolg unter­schied­li­cher Ein­wan­de­rer­grup­pen in west­li­chen Län­dern stark unter­schied­lich aus­fällt und man­che davon sogar bes­ser­ge­stellt sind als die berüch­tig­ten wei­ßen Män­ner. All­ge­mein wir­ken bereits Sprach­bar­rie­ren für vie­le Ein­wan­de­rer als Auf­stiegs­hemm­nis­se. Sie mögen ein Pro­blem sein, das Auf­merk­sam­keit ver­dient, aber sie sind kein Rassismus.

Relativ unbedeutender Rassismus bleibt Rassismus

Doch auch wenn die besag­te Gesamt­deu­tung rich­tig wäre, bedeu­te­te das nicht, dass der Ras­sis­mus­be­griff nur in einer Rich­tung ange­wandt wer­den könn­te. Denn es stimmt nicht, dass man eine Gleich­heit zwi­schen allen Grup­pen behaup­tet, indem man sagt, Ras­sis­mus kom­me in alle Rich­tun­gen vor.

Mit dem Wort „Gewalt“ etwa benen­nen wir alles Mög­li­che von der Ohr­fei­ge bis zum Geno­zid, ohne dass jemand kla­gen wür­de, man set­ze eine Ohr­fei­ge mit einem Geno­zid gleich. Jeder weiß, dass die eine Form von Gewalt unend­lich viel schwer­wie­gen­der ist als die ande­re, und nie­mand leug­net es durch die Anwen­dung des Begriffs auf bei­des, denn der Begriff ändert durch den Kon­text sei­ne Bedeutung. 

Genau so könn­te man auch sagen, der Ras­sis­mus, der von Wei­ßen aus­geht, sei his­to­risch gewach­sen, insti­tu­tio­nell ver­fes­tigt und schäd­li­cher, weil er mit Macht aus­ge­stat­tet sei, wäh­rend sons­ti­ger Ras­sis­mus rela­tiv macht­los und unbe­deu­tend sei. Aus der Asym­me­trie folgt nicht, dass man dem rela­tiv unbe­deu­ten­den Ras­sis­mus die­se Bezeich­nung ver­wei­gern müss­te. Die eine Feind­se­lig­keit zu ver­schwei­gen, weil die ande­re grö­ßer ist, ergä­be nur dann einen Sinn, wenn die gegen­sei­ti­gen Feind­se­lig­kei­ten ein­an­der weg­kürz­ten und nicht multiplizierten.

Die Äußerungen rassistisch zu nennen, ist keine Relativierung der Sklaverei

Der Gegen­ein­wand wäre, dass aber gera­de der his­to­ri­sche Hin­ter­grund, die insti­tu­tio­nel­le Ver­fes­ti­gung und die Macht­über­le­gen­heit den Kern des Begriffs „Ras­sis­mus“ aus­mach­ten, sodass, wenn die­se Aspek­te nicht gege­ben sei­en, es eben kein Ras­sis­mus sei.

Es geht hier also um eine Defi­ni­ti­ons­fra­ge. Wenn man Ras­sis­mus als – grob gespro­chen – Abwer­tung und Anfein­dung auf­grund der Haut­far­be defi­niert, gibt es Ras­sis­mus gegen Wei­ße. Wenn man die Defi­ni­ti­on dage­gen an der spe­zi­fi­schen Geschich­te des Kolo­nia­lis­mus und der Skla­ve­rei des Wes­tens fest­macht, gibt es ihn nicht. Wir müs­sen uns also für eine Defi­ni­ti­on ent­schei­den. Dabei sind zwei Fra­gen rele­vant. Ers­tens: Wel­che Defi­ni­ti­on herrscht im all­ge­mei­nen Sprach­ge­brauch vor? Zwei­tens: Wel­che ist sinnvoller?

Ein Groß­teil der Argu­men­te für den Stand­punkt „Es gibt kei­nen Ras­sis­mus gegen Wei­ße“ schei­tert bereits an der Ant­wort auf die ers­te Fra­ge. Im all­ge­mei­nen Sprach­ge­brauch wird unter Ras­sis­mus, grob gespro­chen, Abwer­tung und Anfein­dung auf­grund der Haut­far­be ver­stan­den. Etwas ande­res zu unter­stel­len ist absurd. Wenn ein nor­ma­ler Mensch Äuße­run­gen wie die von Sarah-Lee Hein­rich ras­sis­tisch nennt, behaup­tet er damit selbst­ver­ständ­lich nicht, Afri­ka­ner hät­ten in der Ver­gan­gen­heit Euro­pa kolo­ni­siert (statt umge­kehrt) und „Kar­tof­fel“ genannt zu wer­den sei ähn­lich schlimm wie Sklaverei.

Das Entscheidende wird unsichtbar und unsagbar

Doch sol­che Behaup­tun­gen unter­stellt ihm etwa der Tages­spie­gel, wenn er den­je­ni­gen, die von Ras­sis­mus gegen Wei­ße spre­chen, „Geschichts­re­vi­sio­nis­mus“ vor­wirft. Aka­de­mi­ker-Akti­vis­ten haben unter sich eine neue Defi­ni­ti­on fest­ge­legt und unter­stel­len der gan­zen Sprach­ge­mein­schaft nun, die­se neue Defi­ni­ti­on im Sinn zu haben, wenn sie den Begriff benutzt. Auf die­ser Basis wird den Spre­chern dann ent­ge­gen­ge­hal­ten, sie wüss­ten nicht, wovon sie reden, oder Schlim­me­res. Doch wenn weder Spre­cher noch Zuhö­rer eine sol­che Umkeh­rung der Geschich­te und Macht­ver­hält­nis­se mit dem Begriff ver­bin­den, dann hat er in ihrer Kom­mu­ni­ka­ti­on fak­tisch nicht die­se Bedeu­tung. Somit ent­fällt der wich­tigs­te Grund dafür, ihn dort nicht zu erlauben.

Die Idee, zwi­schen – salopp gesagt – Ras­sis­mus von oben und Ras­sis­mus von unten zu unter­schei­den, ist an sich nicht unsin­nig. Es fehlt aber eine geeig­ne­te sprach­li­che Lösung dafür, die mehr erhel­len als ver­dun­keln wür­de. Wie soll man eth­nisch begrün­de­te Feind­se­lig­kei­ten gegen Wei­ße nen­nen? Eine Umschrei­bung, wie ich sie gera­de gebraucht habe, ist zu umständ­lich, um eine Chan­ce zu haben. Zudem fehlt ihr die mora­li­sche Ver­ur­tei­lung, die mit dem Ras­sis­mus­be­griff ein­her­geht und von Spre­chern übli­cher­wei­se auch gewollt ist. Sie trifft inso­fern die Sache nicht.

Dis­kri­mi­nie­rung“ wird gele­gent­lich vor­ge­schla­gen. Doch „Dis­kri­mi­nie­rung“ sagt nichts über das Merk­mal aus, nach dem dis­kri­mi­niert wird. „Ras­si­sche Dis­kri­mi­nie­rung“? Nein, das wür­de den Ras­se­be­griff reak­ti­vie­ren. „Ras­sis­ti­sche Dis­kri­mi­nie­rung“? Ver­bo­ten, weil „Ras­sis­mus“ dar­in steckt. Außer­dem ist „Dis­kri­mi­nie­rung“ grund­sätz­lich mil­der als „Ras­sis­mus“. Was aber, wenn es um einen Mord geht? Sol­len wir einen Mord unter „Dis­kri­mi­nie­rung“ ein­ord­nen? Che­b­li spricht von „Anfein­dung, Hass, Benach­tei­li­gung“. Auch die­se Alter­na­ti­ven sagen nichts über das Merk­mal aus, an dem sich die­se Phä­no­me­ne fest­ma­chen. Das Ent­schei­den­de wird unsicht­bar und unsagbar.

Heinrichs Unterstützer legitimieren ihre Tweets

Die Sprach­ge­mein­schaft hält das Wort „Ras­sis­mus“ bereit, um es zu benen­nen und uni­ver­sell zu ver­ur­tei­len, wenn Men­schen ande­re Men­schen auf­grund eth­ni­scher Zuge­hö­rig­kei­ten abwer­ten, ste­reo­ty­pi­sie­ren oder schä­di­gen. Wir haben kei­nen alter­na­ti­ven Begriff, der die­sen Gehalt trans­por­tie­ren wür­de. Geht es um Wei­ße als Betrof­fe­ne, sol­len wir nun um die­se empi­ri­sche und mora­li­sche Essenz des Pro­blems her­um­re­den wie die Kat­ze um den hei­ßen Brei – oder sie schlicht ver­schwei­gen. Ange­nom­men, es gäbe wirk­lich ein Pro­blem bei­spiels­wei­se mit Mob­bing gegen wei­ße Schü­ler auf man­chen Schul­hö­fen – wie ste­hen die Chan­cen, dass es the­ma­ti­siert wird, wenn der dafür zen­tra­le Begriff tabu ist und jeder, der ihn zu benut­zen wagt, nie­der­ge­brüllt wird?

Die Ant­wort ist an der Hein­rich-Affä­re abzu­le­sen. Die Stoß­rich­tung der Fest­stel­lung, ihre Feind­se­lig­keit gegen Wei­ße sei kein Ras­sis­mus, ist nicht: „Wir neh­men sie als Pro­blem ernst, ord­nen sie aber begriff­lich anders ein.“ Son­dern: „Man muss nicht gera­de das Wort ‚eklig‘ gebrau­chen, aber in der Sache hat sie völ­lig recht.“

Sebas­ti­an Wes­sels wur­de 1976 in Bre­men gebo­ren und hat in Han­no­ver sowie Car­diff (Wales) Sozi­al­wis­sen­schaf­ten stu­diert. Nach einem Zwi­schen­spiel als Jour­na­list und Online-Redak­teur folg­te eine Dok­to­ran­den­tä­tig­keit in einem For­schungs­pro­jekt zur psy­chi­schen Auto­no­mie des Indi­vi­du­ums und 2016 die Pro­mo­ti­on in Sozio­lo­gie. Im Janu­ar 2021 erschien sein Buch „Im Schat­ten guter Absich­ten: Die post­mo­der­ne Wie­der­kehr des Ras­sen­den­kens“, wor­in er den Stand­punkt ver­tritt, dass die heu­te popu­lä­ren post­mo­der­nis­tisch und iden­ti­täts­po­li­tisch gepräg­ten Stra­te­gien gegen Ras­sis­mus die­sen viel­mehr ver­meh­ren, als zu sei­ner Über­win­dung bei­zu­tra­gen. Wes­sels lebt und arbei­tet als frei­be­ruf­li­cher Tex­ter, Über­set­zer und Autor in Berlin.

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