Somit benötigen wir Maßnahmen zur Bewältigung des Klimawandels, die analog zu den Einschränkungen der persönlichen Freiheit in der Pandemie-Bekämpfung sind.
Karl Lauterbach
Manche von den Älteren erinnern sich vielleicht noch an einen Sketch aus der besten Zeit von Otto Waalkes, den ich hier ohne Gewähr aus dem Gedächtnis zitiere: Eine Hausfrau in einem Werbespot bemüht sich, ihre Wohnung wirklich perfekt sauber zu bekommen. Eine Stimme aus dem Off lässt sie wissen, dass immer noch unreine Elemente übrig sind. Am Ende stellt sich heraus, dass sie selbst das letzte unreine Element ist. Sie muss ihre Wohnung verlassen, um die ersehnte perfekte Sauberkeit zu erreichen.
Daran erinnert ein Video des Weltwirtschaftsforums, das im Februar 2021 zu Bildern von menschenleeren Straßen jubelte: »Lockdowns machen Städte rund um die Welt besser«. Nach angemessenen Reaktionen des Publikums wurde das Video gelöscht. War alles nicht so gemeint. Mausgerutscht. Kann passieren.
Doch ein Artikel des WEF von Mitte September bestätigt wieder einmal die Beobachtung, dass diese Organisation erstaunlich offen ausspricht, welche Zukunft ihr vorschwebt. Und was aus ihrer Sicht das Hauptproblem ist: freie Menschen. Verkehr und Gebäude seien zwar bedeutende CO2-Emittenten, aber auch der Anteil »individueller Emissionen« müsse in Angriff genommen werden.
Dafür werden »personal carbon allowance programs« empfohlen, also konkret ein umfassendes Tracking der Menge an Emissionen, die die Aktivitäten einzelner Menschen verursachen, und eine Rationierung der Menge, die ihnen zusteht. Daher der Name des Programms: »My Carbon«. Das heißt Rundum-Überwachung, und das Ganze ergibt wenig Sinn, wenn es nicht mit einem System von Belohnungen und Strafen einhergeht. Ein Social-Credit-System also.
Das Problem dabei laut WEF:
Programme für persönliche CO2-Zertifikate hatten bisher nur begrenzten Erfolg, da es an Bewusstsein und fairen Mechanismen zur Verfolgung von Emissionen mangelt.
Es mangelt an Bewusstsein, »awareness«. Wenn wir nur das richtige Bewusstsein hätten, würde es uns nicht einfallen, uns dem Regime der WEF-Technokraten zu unterwerfen. Die Logik von Kommunisten seit jeher: Wenn alle mitmachen, klappt es. Und wenn alle richtig aufgeklärt sind und kein »falsches Bewusstsein« mehr haben, machen sie mit. Und wenn nicht … haben sie noch zu viel falsches Bewusstsein, oder es sind Saboteure am Werk.
In den letzten zwei Jahrzehnten gab es zahlreiche Beispiele für Programme für persönliche CO2-Zertifikate, die jedoch aufgrund mangelnder gesellschaftlicher Akzeptanz, politischen Widerstands sowie des Mangels an Bewusstsein und fairen Mechanismen zur Verfolgung von „My Carbon“-Emissionen nur begrenzt erfolgreich waren.
Die Bevölkerung ist bockig. Aber jetzt gibt es neue Hoffnung:
COVID-19 war der Test der sozialen Verantwortung – Eine riesige Anzahl unvorstellbarer Einschränkungen für die öffentliche Gesundheit wurde von Milliarden Bürgern auf der ganzen Welt akzeptiert. Weltweit gab es zahlreiche Beispiele für die Einhaltung des Social Distancing, das Tragen von Masken, Massenimpfungen und die Akzeptanz von Anwendungen zur Kontaktverfolgung für die öffentliche Gesundheit, die den Kern der individuellen sozialen Verantwortung demonstrierten.
Der merkwürdige Satzbau um die »Einschränkungen für die öffentliche Gesundheit« (»restrictions for public health«) mag eine Freudsche Fehlleistung sein, aber wir verstehen, was gemeint ist. Wenn zu COVID-Zeiten eine »riesige Anzahl unvorstellbarer [sic: ›unimaginable‹] Einschränkungen« möglich war, dürfte sie ja noch einmal möglich sein, und dann auf Dauer.
Dabei hilft dann die moderne Technik, der zweite Punkt auf der Liste der neuen Gründe zur Hoffnung:
Fortschritte bei neuen Technologien wie KI, Blockchain und Digitalisierung können das Tracking persönlicher CO2-Emissionen ermöglichen, das Bewusstsein schärfen und auch individuelle Empfehlungen zu kohlenstoffärmeren und ethischen Entscheidungen für den Konsum von Produkten und Dienstleistungen geben.
Alles in der Sprache von »Entscheidungen« (»choices«) und »Bewusstsein«; obwohl schon nach den Formulierungen in diesem Artikel höchst unklar ist, ob die Technologie nur die Grundlage für »choices« liefert oder gleich die »choices« selbst. Ich zitiere einen Abschnitt im Original, da ich das unbestimmte In-der-Luft-Hängen der »choices« hinsichtlich der Frage, wer oder was sie nun eigentlich trifft, nicht präzise übersetzen kann:
There have been major advances in smart home technologies, transport choices with carbon implications, the roll-out of smart meters in providing individual choices to reduce their energy-related emissions, the development of new personalized apps to account for personal emissions, and better personal choices for food and consumption-related emissions.
Wer jedenfalls glaubt, dass es noch etwas mit freien Entscheidungen zu tun haben wird, wenn KI und Apps auf Schritt und Tritt verfolgen, was man tut, einem dabei ständig mitteilen, was gut und was böse ist, und die entsprechenden Daten natürlich auch auf irgendwelchen Rechnern aufschlagen, der glaubt auch an die Weihnachtsperson.
Man müsste dazu annehmen, dass eine unkontrollierte Macht beispiellosen Ausmaßes ausschließlich zum Guten genutzt und niemals missbraucht wird. Bereits die Vorstellung, dass diese Akteure »das Gute« zuverlässig identifizieren und die Folgen ihrer Eingriffe absehen können, ist eine tödliche Anmaßung, selbst wenn man Machtmissbrauch und Korruption ganz außen vor lässt. Die Kosten-Nutzen-Bilanz der Covid-Maßnahmen ist bis heute nicht klar. Deshalb funktionieren freie Gesellschaften: weil sie Entscheidungen, Wissen und Macht dezentralisieren. Doch dieser Zustand ist unerträglich für die, die sich im Besitz aller Antworten glauben.
Es gibt eine beträchtliche Anzahl von Programmen und Anwendungen, die es den Bürgern ermöglichen, einen Beitrag zu CO2-Emissionen zu leisten, indem sie ihnen ein tiefgreifendes Bewusstsein für die Entscheidungen zum persönlichen Kohlenstoff für Lebensmittel‑, Mobilitäts‑, Wohnenergie- und Lebensstilentscheidungen vermitteln.
Ja, da steht wirklich »einen Beitrag zu den CO2-Emissionen« (»to contribute towards carbon emissions«). Die Dopplung von »Entscheidungen« im letzten Satzteil steht auch so im Original – ich bemühe mich, die schlechte Textqualität des Originals möglichst authentisch zu übersetzen.
Diese erinnert übrigens stark an diejenige, die in Woke-Kreisen üblich ist. Mein Buch enthält dazu einen Abschnitt, der einen Beispieltext von der Amadeu-Antonio-Stiftung behandelt. Ich schrieb:
Die Sprache ist akademisch, aber bis hin zur Fehlerhaftigkeit unpräzise und verworren. Der Grund dafür ist meiner Einschätzung nach, dass man hier nicht nach Klarheit strebt, sondern nach Vernebelung (»Dekonstruktion«). Die sprachlichen Fehler und vermurksten Formulierungen sind keine bewusste Absicht, aber sie resultieren aus einem Habitus des Schreibens und Sprechens, für den Klarheit kein Wert und Undurchdringlichkeit willkommen ist.
Kann aber natürlich auch Zufall sein. Man wird jedenfalls kaum gehen können vor lauter Bewusstsein, und dann wird man das alles freiwillig machen, und wenn nicht, dann, äh.
Der dritte Punkt:
Gesteigertes Bewusstsein und Eigenverantwortung für Natur und Umwelt – In den letzten Jahren ist das Bewusstsein und die öffentliche Besorgnis über den Klimawandel und insbesondere unter Jugendlichen gestiegen.
Ja, die Jugend liegt beim Bewusstsein ganz weit vorn. Aus heiterem Himmel. Mao gefällt das.
Ein möglicher Soundtrack zu dieser Zukunft ist das wunderbare und prophetische Lied Die Augen von meiner Maschine des genialen Georg Kreisler, erschienen 1963(!) auf dem Album »Lieder zum Fürchten« (hier der Text). Der Beitrag der Maschine zu den Dating-Choices des Erzählers ist in diesem Zusammenhang vielleicht weniger relevant – aber vielleicht auch nicht. Kinder sind bekanntlich die größten Klimakiller.
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