Auch der Tagesspiegel fragt natürlich nicht, was führende Intellektuelle, Wissenschaftler und Persönlichkeiten wie Steven Pinker (Wiki), Richard Dawkins (Wiki), Jonathan Haidt (Wiki), Camille Paglia (Wiki), Roger Penrose (Wiki) John McWhorter (Wiki), Glenn Loury (Wiki), David Buss (Wiki), Sam Harris (Wiki), Bjørn Lomborg (Wiki), Iain McGilchrist (Wiki), Lex Fridman (Wiki), Robert Trivers (Wiki), Bret Weinstein (Wiki), Roger Scruton (Wiki), Russell Brand (Wiki), Chloé Valdary (Wiki), Michael Shellenberger (Wiki), Michael Shermer (Wiki), Steven Hicks (Wiki) Bari Weiss (Wiki), Steven Fry (Wiki), Ayaan Hirsi Ali (Wiki), Douglas Murray (Wiki), Matthew McConaughey (Wiki), Wim Hof (Wiki) oder Yeonmi Park (Wiki) von Jordan Peterson halten, die alle mit ihm öffentlich aufgetreten sind (Videos verlinkt), viele davon unter ausdrücklichen Respektsbekundungen.
Natürlich fragt er auch nicht, was Abermillionen von Zuschauern und Lesern von ihm halten, oder schaut nach, ob die Kommentare unter Petersons Videos den Eindruck vermitteln, dass sich dort Rechtsextreme, Frauenhasser und Kapitolstürmer tummeln (Spoiler: nein, das tun sie nicht).
Den Tagesspiegel interessiert nur, was 300 verstörte Berliner Jugendliche von Peterson halten, die in einem schlecht geschriebenen anonymen Blogartikel Lügen, Halluzinationen und auf winzigen, unverstandenen Peterson-Fragmenten wuchernde Fantasien über ihn aufgetürmt haben wie eine Cathy Newman nach fünf Jahren Crystal Meth, und die dann zum Veranstaltungsort seines Auftritts erschienen sind, um dort papageienhaft ihre Buzzwords aufzusagen (»rassistisch«, »sexistisch«, »homophob«, »Patriarchat« etc.). Für die Qualität ihrer Anklageschrift steht exemplarisch die Stelle, an der sie behaupten, Peterson würde frauenfeindliche Videos über »Femsplaining« auf YouTube hochladen. Hintergrund: Peterson war mal zu einem Podcast eingeladen, den die zwei Gastgeberinnen selbstironisch »Femsplainers« genannt haben. Das ist alles, was er mit dem Wort zu tun hat.
Oder diese Stelle:
Ein Mann müsse eine dominante Figur sein – Frauen und weibliche Attribute würden dieser »männlichen Selbstverwirklichung« schaden.
Die Verfasser benutzen wiederholt Anführungsstriche, um Zitate vorzutäuschen, wo sie eigentlich nur ihrer Fantasie Ausdruck geben. Dieser Mann, der ständig für die Ehe wirbt, der die Übernahme von Verantwortung für eine Familie als gute Quelle von Lebenssinn sieht, der ein dauerhaftes Singledasein als »Weg in den Wahnsinn« für die meisten Menschen einschätzt und der vor Jahren die MGTOW (»Men Going Their Own Way«), die Partnerschaften mit Frauen ablehnen, dafür als »armselige Wiesel« bezeichnet hat, soll behaupten, dass Frauen der männlichen Selbstverwirklichung schaden. Ja, ganz bestimmt.
Das mit der »dominanten Figur« ist ebenfalls Unsinn. Ja, da kommt irgendwo das Wort »dominance« vor, es bedeutet aber nicht, was hier suggeriert wird. Es geht um soziale Hierarchien, die in der Biologie »dominance hierarchy« heißen, wobei Peterson immer wieder betont, dass die Hierarchien in einer Gesellschaft, die keine Tyrannei ist, auf Kompetenz beruhen und nicht auf Macht. Insofern ja, er plädiert dafür, sich Kompetenz anzueignen. Aber das richtet sich nicht nur an Männer und bedeutet nicht, dass die Männer die Frauen dominieren sollen. Das ist Fantasie.
Diese 300 anonymen Genies jedenfalls sind für den Tagesspiegel maßgeblich und sonst niemand. Was die behaupten, wird blind übernommen. Weitere Recherche überflüssig.
Sonst könnte einem schon auffallen, dass für die stereotyp wiederholte Behauptung, Peterson sei eine Gallionsfigur der Alt-Right, oder hier der »Neuen Rechten«, nie auch nur der Hauch eines Beweises angeboten wird. Prinzipiell wäre es ja möglich, so etwas zu belegen. Man könnte auf eine Führungsfigur der Neuen Rechten verweisen, die Peterson gelobt hat, wenn es eine gibt. Auf Blogs, Videokanäle oder andere Organe der Neuen Rechten, die Peterson feiern, wenn es welche gibt. Oder auf Kundgebungen der Neuen Rechten, die an Peterson angelehnte Parolen verwendet haben, wenn es welche gab. Aber da kommt nichts. Gar nichts.
Der »Daily Stormer« ist ein bekanntes rechtsextremes Organ. Was hält man da von Peterson?
Hier der Link zur Site-Suche nach »Peterson« beim Daily Stormer – da ist noch viel mehr.
Die prominenteste mir bekannte Person, die der Alt-Right zugerechnet wird und sich selbst ihr zurechnet, ist Theodore Beale, Künstlername Vox Day. Er hasst Peterson, bezeichnet ihn als Scharlatan und Sektenführer und hat ein Buch über ihn geschrieben, das in Anspielung an »Dianetics« von L. Ron Hubbard (Scientology) »Jordanetics« heißt.
Ich bin jederzeit bereit, eventuelle Beweise dafür zur Kenntnis zu nehmen, dass die Alt-Right oder andere Rechtsextreme Jordan Peterson feiern, aber ich habe bisher keine gesehen.
Die Behauptung ist auch wenig plausibel, da Peterson das souveräne Individuum und den Liberalismus hochhält und jede Identitätspolitik ablehnt. Ich glaube gerne, dass Peterson (oder »Petterson«, wie eine Rednerin auf der Protestkundgebung zu sagen pflegte, was einen Eindruck von ihrer Recherchetiefe vermittelt – aber wozu sich informieren, bevor man Menschen verleumdet? Hauptberufliche Journalisten sehen ja auch keinen Grund dazu) bei den Berliner 300 und bei Tagesspiegel-Redakteuren ähnlich schlechte Gefühle im Bauchi auslöst, wie es Rechtsextreme tun. Daraus folgt aber nicht, dass sie dieselbe Position vertreten – vom Linkspol aus ist alles rechts.
Das Projekt von neuer Rechter und Alt-Right, überhaupt das Projekt jeder äußeren Rechten ist in irgendeiner Form die Besinnung auf ein Wir, die Kultivierung einer Wir-Identität als Weiße, als Westler oder was auch immer, mit dem Ziel eines kollektiven Aufbruchs, um sich gegen »die« zu behaupten. Petersons Ablehnung jeglicher Projekte dieser Art muss für die extreme Rechte ein Ärgernis und eine unversöhnliche Differenz sein, und sie ist es auch. Im Zentrum seiner Philosophie steht das Individuum und die Übernahme von Verantwortung für sich selbst, und soweit man die geschultert hat, für andere. Seine Lebensregel »Put your house in perfect order before you criticize the world« ist nicht nur für linke Aktivisten ein Affront.
Hier ist eine Antwort Petersons auf eine einschlägige Frage im Rahmen einer Veranstaltung im Frühjahr 2018:
Frage: Professor Ricardo Duchesne, historischer Soziologe und Professor an der Universität von New Brunswick, argumentiert: »Individualismus ist ein einzigartiges Merkmal der europäischen Völker. Er wurde im gewissem Umfang in andere Länder exportiert, aber aus meiner Sicht geht er dort nicht ohne Weiteres in Fleisch und Blut über.« Also, fährt er fort, »kann man nicht das Spiel ›Wir sind alle Individuen‹ spielen. Wir müssen unsere ethnische Identität und unser Erbe affirmativ annehmen und stolz darauf sein, um den eigenartigen Individualismus des Westens zu bewahren.« … Es würde mich nicht überraschen, wenn Duchesne bei dieser Aussage an Sie gedacht hätte.
Peterson: Schauen Sie. Die Europäer des Mittelalters haben aus gutem Grund sieben Todsünden identifiziert, und eine davon war Stolz. … Ich glaube, dass der Westen aus Gründen, die nicht offensichtlich sind, einiges richtig gemacht hat. Wir haben die Souveränität des Individuums richtig erfasst. Das ist das Grundlegendste, was wir richtig gemacht haben. Wir haben das, denke ich, auf bemerkenswerte Weise artikuliert, nicht nur theologisch, philosophisch, in unseren Gesetzen, in unseren Gesellschaften. Und eine der Folgen davon war, indem es Auswirkungen auf den Rest der Welt hatte, dass alle ziemlich schnell reicher werden, und das ist eine wirklich gute Sache. Das dazu. Aber bin ich nun stolz darauf? Das ist doch nicht mein Verdienst. Was zum Teufel, Stolz, was ist das? Das ist nicht die richtige Antwort. Wie wäre es mit Verantwortung dafür? Wie wäre es damit? Sie sind Teil dieser großartigen und unwahrscheinlichen Reihe von Annahmen, dieser seltsamen Reihe von Annahmen, die besagen, dass der ärmste Mensch auf eine unbeschreibliche Art genauso wertvoll ist wie der König. Wie zum Teufel haben wir das herausgefunden? Das ist unmöglich zu denken, und doch ist es das Fundament unseres Rechtssystems. Das ist nichts, worauf man stolz sein sollte, das ist etwas, wovor man erzittert, das man als ethische Verpflichtung annimmt, und nicht um zu zeigen, wie wunderbar man ist, weil man zufällig die gleiche Hautfarbe hat wie einige derjenigen, die das erdacht haben. Das ist nicht die richtige Antwort. Es geht darum, die Augen zu öffnen und das als Wunder zu erkennen, ein relativ neues Wunder auf der Weltbühne, und an dem Prozess teilzunehmen, es im persönlichen und öffentlichen Leben aufrechtzuerhalten. Das ist kein Stolz auf die europäische Tradition. … die europäischen Städte sind unglaubliche Meisterwerke, weshalb sie von Pilgern überschwemmt werden, nicht wahr, Touristen. Pilger, die dorthin reisen, um die Schönheit zu betrachten. Ich bin nicht stolz darauf; ich empfinde es als Herausforderung, zu versuchen, dem gerecht zu werden. Das ist nicht dasselbe. Und diese Rechten mit ihrem »schaut her, was wir geschaffen haben«, es ist … nein, ihr habt das nicht geschaffen. Das ist keine Kleinigkeit. Du musst deinen Kram in Ordnung bringen, bevor du zu sagen wagst: »das war ich«. Ja, sicher, klar, du warst das. Ja, genau. Nein. Das ist schwer. Aufzustehen und seinen Platz in einem solchen historischen Prozess einzunehmen, diesem unwahrscheinlichen, wundersamen Prozess. Sich angesichts dessen nicht für seine derzeitige Verfassung zu schämen, bedeutet, dass man sich etwas vormacht. … Sie nutzen das unverdiente Geschenk, das Ihnen gegeben wurde, als Quelle des persönlichen Stolzes aufgrund der Errungenschaft Ihrer Haut. Es ist … nein. Nicht gut. Kein gutes Argument. Und das bedeutet nicht, dass die europäische Kultur nichts Wertvolles zu bieten hätte. Sie hat viel Wertvolles zu bieten. Es ist nicht einmal so klar, inwieweit sie europäisch ist. Ich meine, es kam aus dem Nahen Osten, wissen Sie, ich meine … wer … das ist so wirrköpfig, dass man kaum weiß, wo man anfangen soll.
Ähnliche Stellungnahmen sind in diesem Faktencheck von 2018 verlinkt, der die Behauptung, Jordan Peterson sei Alt-Right, korrekterweise als »falsch« bewertet.
Wo wir schon dabei sind – in letzter Zeit kursieren wieder Behauptungen, Peterson legitimiere »Incel-Ideologie« derart, Männer hätten ein Recht auf Sex gegenüber Frauen, selbstbestimmte Frauen beraubten Männer ihrer Rechte oder dergleichen. Das steht schon deshalb quer zu seiner Philosophie, weil er, siehe oben, das souveräne Individuum hochhält (das beinhaltet Frauen) und dafür wirbt, Verantwortung für das eigene Leben zu übernehmen. Wie das seiner Ansicht nach geht, steht in seinen Büchern. Auch sein »Self Authoring« hilft dabei. Sich in Selbstmitleid zu suhlen, die Welt anzuklagen und ein »Recht« auf das zu reklamieren, was man sich wünscht, ist das Gegenteil dessen, wofür Peterson steht.
Und dazu gibt es auch reichlich Äußerungen wie diese:
Was erwartest du von Frauen? Wenn du durch Sex schwanger werden könntest, wärst du auch verdammt wählerisch. Also mach dir das mal ein bisschen klar. Und dann – finden sie dich nicht attraktiv? Tja, vielleicht bist du es nicht. Achtest du darauf, wie du dich kleidest? Hast du einen Plan? Bist du so gebildet, wie du sein könntest? Bist du ein Lügner? Konsumierst du viel Pornographie? Vielleicht untergräbt das deine Motivation, eine Frau zu finden und erwachsen zu werden.
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Und das Fazit:
Wenn du besser wärst, hättest du auch mehr Erfolg bei Frauen. Das muss dir klar sein. Du kannst nicht wütend auf Frauen sein. Es ist dumm.
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Und aus dem MGTOW-Monolog von 2017:
Was da passiert ist, ist, dass das Weibliche sich in ihrem Leben nur als der negative Archetyp manifestiert hat, und das verwechseln sie mit allen Frauen. Und das ist zum Teil … du musst dich fragen, wenn du die mythologischen Geschichten kennst, vielleicht hättest du nicht so viele Schwierigkeiten mit Frauen, wenn du die richtigen Opfer gebracht hättest. Es lohnt sich, mit dieser Frage anzufangen. Wenn du eine Frau bist, die Probleme mit Männern hat, oder ein Mann bist, der Probleme mit Frauen hat, es sind nicht die Frauen und es sind nicht die Männer. Du bist es. Denn die Frauen sagen dir, was mit dir nicht stimmt. Und die Männer sagen dir, was mit dir nicht stimmt.
Homophob? Gerade neulich hat Peterson mit seinem Freund Dave Rubin ausführlich über dessen Vorhaben gesprochen, zusammen mit seinem Ehemann Kinder großzuziehen.
Transphob? Er stellt sich gegen die Auffassungen, Geschlecht sei durch Identität bestimmt und Identität sei subjektiv und unilateral beliebig wählbar, und er hält geschlechtsverändernde medizinische Eingriffe bei Minderjährigen für barbarisch. Das ist etwas anderes als Feindseligkeit gegen transsexuelle Personen, auch wenn das für Schwarzweißdenker schwer zu verstehen ist. Peterson ist schon vor Jahren mit der Transsexuellen Theryn Meyer aufgetreten (übrigens ein hochinteressantes Gespräch), und schon auf dem Höhepunkt des damaligen Wirbels um seinen Protest gegen verpflichtende Neopronomen hat er sich prinzipiell bereit erklärt, gewünschte Pronomen zu verwenden, wenn ihm die Bitte als aufrichtig und nicht als manipulatives Dominanzspielchen oder politisches Manöver erscheine. (Fun Fact: Der unsichtbare Fragesteller im Video ist John McWhorter.)
Was noch? Die Karikaturen von Petersons augenzwinkernden Hummer-Betrachtungen in »12 Rules for Life«, die Journalisten unermüdlich für ihre Hitpieces voneinander abschreiben, werden im Zuge dessen immer dümmer und hasserfüllter. Dabei ist es eigentlich nicht schwer zu verstehen: Gerade weil die Hummer biologisch weit von uns entfernt und sehr alt sind, eignen sich ihr Hierarchieverhalten und dessen neurologische Korrelate als Beleg dafür, dass soziale Hierarchien nicht erst mit den Menschen oder gar bestimmten Gesellschaftsformen in die Welt gekommen sind. Immer wieder glauben Journalisten aus rätselhaften Gründen, dass ein paar in verächtlichem Tonfall hingerotzte Zeilen genügen, um die auf konkreten Forschungsarbeiten beruhenden Ausführungen über Parallelen zwischen den Nervensystemen von Hummern und Menschen zu widerlegen; und auch ihre Leser glauben vermutlich, das alles besser zu wissen, ohne den Text zu kennen oder sich je mit dem Thema beschäftigt zu haben. Könnte bei diesem magischen Besserwissen trotz faktischen Unwissens vielleicht Ideologie im Spiel sein?
Das Heranziehen von Verhalten und Physiologie von Tieren zum Verständnis unseres evolutionären Erbes kann überhaupt nur dann erstaunlich erscheinen, wenn man es gewohnt ist, sich allumfassende Theorien des Menschen empiriefrei aus den Fingern zu saugen. Und wenn nun noch hinzukommt, dass man nicht zwischen Seins- und Sollensaussagen zu unterscheiden vermag, weil im eigenen Weltbild Wunschdenken die einzige bestimmende Größe ist, wird aus einem »es gibt soziale Hierarchien und es hilft, darüber etwas zu wissen« schnell ein »er will, dass es soziale Hierarchien gibt«.
Und dann klappert man eifrig empört mit den Scheren und tut so, als wäre es eine skandalöse Aussage, dass Männer mit hohem Status für Frauen eher attraktiv sind als solche mit niedrigem. Als ob man das nicht selbst wüsste. Als ob man keine Ahnung hätte, ob ein Rockstar oder ein Hausmeister, ein Topmanager oder ein Müllmann, ein Spitzenpolitiker oder ein Hartz-IV-Empfänger im Durchschnitt bessere Chancen beim anderen Geschlecht hat. Wüsst ich nicht, müsst ich raten. Sehr glaubwürdig. Die Feststellung ist genauso skandalös wie die, dass sich Männer im Durchschnitt, bei sonst gleichen Variablen, eher zu jungen und optisch attraktiven Frauen hingezogen fühlen. Aber auszusprechen, was jeder weiß, ist ganz schlimm sexistisch. Lächerlich.
Davon abgesehen ist das gar nicht der Punkt des Kapitels »Stand up straight with your shoulders back«. Der Tagesspiegel gibt es so wieder:
Dem Mensch sei, genauso wie seinem schalentierhaften Urvorfahren, ein evolutionäres Verständnis für soziale Hierarchien anheim, von dem man sich inspirieren lassen solle. Hummermännchen, die im gegenseitigen Macht- und Paarungskampf erfolgreich sind, würden ihre Gegner dominieren und dadurch breitschultrig mit Serotonin strotzen. Männer sollen der Welt ebenso breitschultrig und geltungssüchtig entgegentreten, da man sich nur so die Gunst der dominanzliebenden Frauen sichern könne. Für manch einen ist der Gedankensprung zum Sozialdarwinismus an dieser Stelle nur ein kleiner.
Quelle: manch einer. Der ganze Absatz ist so lärmend und geradezu mutwillig dämlich, und dazu in seinem blinden Hass so mitleiderregend schlecht geschrieben, dass ich gar nicht darauf eingehen möchte. Ich tue es trotzdem, weil dieses Niveau in den Medien Standard ist, wenn es um Peterson geht, und weil es wünschenswert wäre, dass dieser Unsinn irgendwann mal ein Ende nimmt.
Erst einmal richtet sich das Kapitel (oder irgendein anderes) nicht exklusiv an Männer. Es ist dementsprechend kein Ratgeber zum Frauenabschleppen. Vielmehr versucht es Menschen zu helfen, die kein gutes Los haben, die wenig Hoffnung haben, die unter sozialer Ängstlichkeit leiden und vielleicht depressiv sind. Das können ebenso Frauen sein (die weiblichen Hummer kämpfen auch und Spoiler, das Nervensystem ist das gleiche). Die Sache mit der Partnerwahl nach Status ist nur ein Unterabschnitt, und da steht nichts darüber, was »Männer sollen«. Da steht, was beobachtbar passiert.
Es geht um Folgendes – dies ist kurz vor Ende des Kapitels:
Achten Sie also sorgfältig auf Ihre Haltung. Hören Sie auf, sich mit krummem Rücken hängen zu lassen. Sagen Sie, was Sie denken. Machen Sie Ihre Bedürfnisse geltend, als ob Sie ein Recht darauf hätten – zumindest das gleiche Recht wie andere. Gehen Sie aufrecht und schauen Sie geradeaus. Trauen sie sich, gefährlich zu sein. Ermutigen Sie das Serotonin, reichlich durch die Nervenbahnen zu fließen, die sich nach seinem beruhigenden Einfluss sehnen.
Ja, Serotonin ist beruhigend, was das Bild des breitschultrigen und geltungssüchtigen Mit-Serotonin-Strotzens noch einmal rätselhafter macht. Meine Entspanntheit dominiert euch zu Boden oder so. Völliger Stuss.
Menschen, Sie selbst eingeschlossen, werden nun anfangen, Sie für kompetent und fähig zu halten (oder wenigstens nicht sofort das Gegenteil schlussfolgern). Ermutigt von den positiven Reaktionen, die Sie erhalten, werden Sie sich weniger ängstlich fühlen. Es wird Ihnen leichter fallen, die subtilen sozialen Signale wahrzunehmen, die Menschen bei der Kommunikation austauschen. Ihre Konversationen werden flüssiger, mit weniger unbehaglichen Pausen. Dies macht es wahrscheinlicher, dass Sie Menschen kennenlernen, mit ihnen interagieren und sie beeindrucken. So erhöhen Sie nicht nur tatsächlich die Wahrscheinlichkeit, dass Ihnen gute Dinge passieren – Sie sorgen auch dafür, dass sich die guten Dinge besser anfühlen, wenn sie passieren.
Grausamstmöglicher Sozialdarwinismus, unsicheren Menschen mit schwierigem Leben auf die Beine zu helfen. Ich meine, klar, Linke würden diesen Menschen einfach sagen, dass der Kapitalismus an allem schuld ist und dass sie zornige Aktivisten werden müssen; das würde ihnen natürlich mehr helfen als praktikable Ratschläge, wie sie sich Schritt für Schritt ein besseres Leben aufbauen können. Alter Kacknazi.
Von diesem wiedergekäuten Unsinn abgesehen befasst man sich nicht mit Petersons Werk, sondern listet einfach auf, wo schon überall Proteste und Feindseligkeiten gegen ihn laut wurden. Irgendwer hat irgendwo über Peterson gesagt … – das genügt völlig, um ihn mit Dreck zu bewerfen. Man braucht nicht zu fragen, was da los war und ob es stimmt, was dieser Jemand behauptet. Beschuldigt, also schuldig.
Wenn man wissen will, was von Peterson zu halten ist, befragt man seine am wenigsten zu einem Urteil qualifizierten Feinde und ignoriert seine viel zahlreicheren Leser und Hörer, seine Fürsprecher und ihn selbst. Yay, Journalismus.
So wird er dann auch – darf’s ein bisschen mehr sein? – im Vorbeigehen und über Bande – »irgendwer hat gesagt« – des Antisemitismus beschuldigt, selbstverständlich ohne den Hauch eines Beweises oder auch nur einer Erklärung, wie man darauf kommt – um ihm zwei Absätze später einen Strick aus der Zusammenarbeit mit dem »radikalkonservativen« Ben Shapiro zu drehen, der praktizierender orthodoxer Jude ist. Der Dreck muss ja nicht kohärent sein; dreckig genügt.
Und wenn man partout nichts nachweisen kann und zu faul oder zu fragil ist, um sich mit etwas zu befassen, das schlechte Fühlis macht, behauptet man einfach, die Nazibotschaften stünden »zwischen den Zeilen«, würden in Form von »Dogwhistles« vermittelt. Bumm, überführt. Unwiderlegbar. Wenngleich eine merkwürdige Strategie: zwischen den Zeilen geheime Botschaften vermitteln, denen man in den Zeilen immer wieder auf ganzer Linie widerspricht? Warum sollte man das machen? Warum sollte sich das jemand anhören? Und nur die 300 anonymen Genies in Schwarz und der Tagesspiegel bemerken diese geheimen Botschaften, aber namhafte Intellektuelle wie die oben aufgezählten, darunter Juden, Frauen, Schwarze, plaudern blauäugig öffentlich mit einem rechtsextremen Frauenhasser und merken nix, weil sie im Unterschied zu den erleuchteten Berlinern, die nicht einen einzigen Standpunkt Petersons korrekt und ohne Wutausbruch wiedergeben können, zu dumm dazu sind? So wird’s sein.
Ich glaube, dass das Tempodrom nicht kritisch hinterfragt hat, wen sie dort einladen.
»Karla, Teil des Bündnisses ›Keine Shows für Täter‹ « (Tagesspiegel)
Oh, the irony.
Es ist ein Trauerspiel. Diese Leute erheben den Anspruch, für die Öffentlichkeit die Welt zu deuten, haben sich aber in einer winzigen, wahnhaften Bubble verloren und verschanzt, in der nur verdrehte und verzerrte Fragmente der Wirklichkeit ankommen. Daraus zimmern sie eine Theorie, in der alles ganz simpel ist und sie immer der Inbegriff des Guten sind. Die Welt reduziert auf die Komplexität eines Lego-Baukastens. Sie sind mit ihrem Ego so tief in diese Parallelwelt verstrickt, dass sie Panik und Wutanfälle bekommen, wenn jemand oder etwas die Existenz einer größeren und komplizierteren Welt erahnen lässt.
In ihrer Parallelwelt muss man keine einzige Studie kennen, um immer genau zu wissen, welche Aussagen der Forschungsstand erlaubt und welche nicht. Dort sagt einem einfach das Bauchgefühl mit Gewissheit, dass der Mann, der mehr als hundert Studien veröffentlicht hat, kein legitimer Wissenschaftler ist. Dort braucht man nichts zu wissen, um alles zu wissen. Dort sind auch Tausende oder Millionen Stimmen, die einem sagen, dass man sich irrt, kein Anlass, diese Möglichkeit in Betracht zu ziehen. Dort ist ein zorniger, uniformierter Mob, der seine Gesichter hinter Spruchbändern versteckt, Individualität durch soldatenhafte Konformität ersetzt, mit Schildern wie »Choke on your Lobsters« einem unliebsamen Redner gleich den Tod wünscht und in seiner Bubble aus Angst, Ignoranz, Neurose, Hass und Narzissmus von einem Fieberwahn in den nächsten taumelt, die Verkörperung des Schönen, Wahren und Guten, und eine multiethnische Versammlung von freundlichen, friedlichen, höflichen und kultivierten Menschen, die dankbar sind, einen außergewöhnlichen Intellektuellen live sehen und hören zu dürfen, der Abertausenden geholfen hat und hilft, für sich und andere ein besseres Leben zu führen, sind eine faschistische Horde.
Und dort läuft ein dummer, bösartiger Jordan Peterson herum, der als ultimativer Sündenbock den Bewohnern zur Aufrechterhaltung ihrer sinnstiftenden und Ego-stabilisierenden Gut-Böse-Polarität dient, aber mit dem echten nur in Spurenelementen etwas zu tun hat.