Worum geht es im Culture War? Welche sozialen und psychischen Mechanismen verhindern eine Verständigung zwischen den Lagern und lassen die Feindschaft eskalieren? Warum gehen Rechte und Linke einander an die Gurgel, statt sachlich darüber zu streiten, wer die besseren Diagnosen und Lösungen hat?
Seit Jahren reift in mir das Vorhaben, ein Buch über diese Fragen zu schreiben. Ein Buch mit dem Anliegen, uns die Dynamiken klarer bewusst zu machen, in die wir verstrickt sind, um wenigstens einen Teil unserer blinden Verstrickung in vernunftgeleitetes Handeln zu verwandeln.
Vor Kurzem habe ich mich entschieden, die Arbeit vorerst in ein Blog zu verlagern und so auf das Buch hinzuarbeiten, statt mich erst mit dem fertigen Buch öffentlich zu Wort zu melden. Mir wurde nämlich klar, dass ich das Buchvorhaben aus zum Teil schlechten Gründen verfolgte:
- Es ist unbequem, mit Standpunkten zu diesen Themen an die Öffentlichkeit zu gehen. Das Buchvorhaben war eine opportune Möglichkeit, dies auf den Sankt Nimmerleinstag zu verschieben.
- Dieselbe Unbequemlichkeit erzeugt ein Bedürfnis, sich abzusichern. Das Buchformat bietet die besten Möglichkeiten, einen Standpunkt umfassend zu begründen und zu kontextualisieren. Aber letztlich kann man ein Buch genauso angreifen und missverstehen, und Perfektionismus schützt nicht vor dem Scheitern. Mein Vorhaben beruhte zum Teil auf einer Illusion, die Buchform biete Sicherheit.
Ich habe in der Vergangenheit bereits diverse Blogprojekte gestartet, von denen keines lange überlebt hat. Dieses zögerliche Hinundher erklärt sich zum Teil aus den Schwierigkeiten, auf die man stößt, wenn man außerhalb ausgetretender Denkpfade wandelt.
Zunächst einmal kann man seine Überlegungen weit weniger auf (scheinbare) Gewissheiten stützen, die man wahrscheinlich mit dem Leser teilt. Das erschwert die Kommunikation, aber auch die Selbstverständigung; die Klärung und Absicherung des eigenen Standpunkts für sich selbst. Vielleicht hat der Kaiser ja wirklich schöne Kleider an und ich habe einfach irgendwas nicht kapiert?
Wenn man die Falschheit des einen oder anderen herrschenden und praktisch nie in Frage gestellten Narrativs erkennt (mit einem populären Ausdruck die »rote Pille« nimmt), dann weiß man zunächst einmal nur, dass man (fast) nichts weiß. Man muss sich sein Wissen über die Welt neu erarbeiten.
Außerdem setzt man sich auf solchen Abwegen dem Risiko aus, angefeindet und missverstanden zu werden. Die eben angesprochene inhaltliche Unsicherheit wiederum macht es schwerer, damit umzugehen und klarzukommen.
Ich mache diesen persönlichen Aspekt des ganzen zum Thema, weil es nicht anders geht. Wenn ich einmal etwas pauschal formulieren darf: Menschen sind selbstgerecht, und zwar auf individueller wie auf Gruppenebene. Als Einzelne lassen wir nie von dem Glauben ab, dass wir eigentlich gut sind, auch wenn wir Schlechtes und Böses tun (siehe dazu »Warum wir ideologische Gegner als bösartig wahrnehmen«). Als Mitglieder von in Gruppenkonflikte verstrickten Gruppen haben wir stets das Gefühl, mit der Bekämpfung des Gegners der guten Sache zu dienen (siehe dazu »The Righteous Mind«, »Moral Tribes«).
Diese Art selbstgerechter Selbsttäuschungen ist ein großer Teil des Problems. Sie ist eine wesentliche Quelle irrationalen Handelns und leistet einen wesentlichen Beitrag zur Eskalation von Konflikten. Ich liebe die Formulierung des Physikers Richard Feynman:
Das erste Prinzip ist, dass Sie sich nichts vormachen dürfen, und niemandem machen Sie so leicht etwas vor wie sich selbst. (»The first principle is that you must not fool yourself – and you are the easiest person to fool.«)
Cargo Cult Science (PDF)
Aufgrund unseres evolutionären Erbes sind wir Menschen psychologisch darauf ausgerichtet, uns einem Stamm zuzuordnen und diesen gegen fremde und feindliche Stämme zu verteidigen. Dies zu tun fühlt sich gut und richtig an. Es fühlt sich im Extremfall so gut und richtig an, dass wir unser Leben dafür opfern – oder auch andere foltern und umbringen.
Wie andere basale Mechanismen ist auch dieser an sich weder gut noch schlecht. Er kann je nach Kontext beides sein. Jedenfalls besagt das gute Gefühl beim Bekämpfen des Gegners in keiner Weise, dass man im Recht ist oder damit Gutes bewirkt. Man kann es nicht genug betonen: Dieses gute Gefühl sagt nichts darüber aus, ob man im Recht ist und ob das begleitende Handeln geeignet ist, die gewünschten Resultate herbeizuführen.
Ich bin einer von den Guten – das glaubt jeder. Ich habe gute Gründe – das glaubt ebenfalls jeder. Ich bekämpfe das Böse – nun ja, vielleicht denkt dein Gegner genau dasselbe, und vielleicht ist es gerade diese gegenseitige Verstrickung, die das Böse hervorbringt? (Okay, das ist nicht der einzige Ursprung des Bösen. Aber es ist zweifellos einer.)
Natürlich sind das alles überhaupt keine originellen Gedanken. Jeder halbwegs wache Mensch weiß, dass wir selbstgerecht sind und mit der Einseitigkeit unseres Blicks auf Konflikte zu deren Eskalation beitragen. Aber den Balken im eigenen Auge zu sehen und diesem Wissen entsprechend zu handeln ist sehr viel schwerer, als der allgemeinen Beobachtung zuzustimmen.
Deshalb muss ich meinen eigenen Standpunkt mitreflektieren, wenn ich über den Culture War schreibe. Ich gebe mich genauso lustvoll einem bunten Strauß von Irrationalitäten und Selbstgerechtigkeiten hin wie die, bei denen ich genau das aufdecken und kritisieren will. Wahrscheinlich in vielen Fällen mehr als sie. Ich bin ein Verstrickter mit der Ambition, ein Beobachter zu sein. Mich meiner Verstrickung zu entledigen ist unmöglich. Was ich aber tun kann, ist, sie mit in den Blick zu nehmen und dadurch halbwegs unter Kontrolle zu bekommen.
Ich komme weiter unten auf dieses Problem und seine Lösung zurück. Zunächst aber umreiße ich meine inhaltliche Position im Culture War, was zugleich eine Beschreibung des Problems ist, wie ich es sehe.
Die neue Linke und die Linksflucht
Ich bin einer von vielen, die als Jugendliche und junge Erwachsene immer links waren und irgendwann in den letzten paar Jahren vom Glauben abgefallen sind. Eine wesentliche Triebkraft hinter dieser Ernüchterung und Linksflucht ist die Tatsache, dass im linken Spektrum eine Gruppe bzw. Strömung dominant geworden ist, die nicht nur radikal, sondern auch auf eine neue Weise radikal ist, die viele klassisch Linke bzw. ehemals Linke abstößt.
Viele Namen sind für diese neue Linke in Umlauf, darunter regressive Linke, autoritäre Linke, postmoderne Linke, (postmoderner) Neomarxismus, Kulturmarxismus, Alt-Left und Ctrl-Left. Eng mit ihr assoziiert sind die Schlagworte Identitätspolitik (wobei es auch eine rechte Identitätspolitik gibt, siehe »Identitäre Bewegung«) Social Justice Warriors und politische Korrektheit. Ich werte diese Begriffe hier nicht und behaupte nicht, dass sie alle exakt dasselbe bezeichnen, aber durchaus, dass sie ungefähr dasselbe bezeichnen. Ich werde einfach bei dem Ausdruck »neue Linke« bleiben, weil er neutral und knackig ist und diese Strömung nicht auf einen ihrer Aspekte reduziert.
Anhand von drei Leitmotiven ihrer Philosophie und Psychologie charakterisiere ich in den folgenden Abschnitten, was diese neue Linke in meinen Augen auszeichnet. Die drei Leitmotive sind Kollektivismus, Sozialkreationismus und Autoritarismus.
Kollektivismus
Ein Wertesystem, das Gruppen zu moralischen Subjekten und Rechtsinhabern macht und Individuen ihnen unterordnet. Hierhin gehören Stichwörter wie Intersektionalität und Identitätspolitik sowie politische Mechanismen wie Frauen- und Diversity-Quoten.
Mein Problem mit dem Kollektivismus ist, dass er mit seinem Postulat, es gebe Gruppenrechte, unausweichlich Individuen ihrer Rechte beraubt.
Die Frauenquote eignet sich gut zur Veranschaulichung. Wenn der Staat das Parlament durch die Quote zur Hälfte mit Frauen füllt, beschneidet er diejenigen Männer in ihren Rechten, die mehr Stimmen erhalten haben oder hätten als die Frauen, die durch die Quote hineinbefördert wurden. Wenn die Befürworter das als ausgleichende Gerechtigkeit sehen, zeigt sich darin gerade das Kollektivdenken: Diese individuellen Männer können nichts dafür, dass weniger Frauen im Parlament sind. Trotzdem werden sie dafür bestraft. Rechtssubjekte sind hier die Gesamtgruppe der Männer und die Gesamtgruppe der Frauen. Die Individuen beider Gruppen ziehen demgegenüber den Kürzeren.
Ja, auch die Frauen, die durch eine Quote objektiv privilegiert sind, werden durch sie zugleich als Individuen degradiert (abgesehen von den Wählerinnen, die diese Frauen nicht gewählt haben). Das ist für viele Frauen ein Hauptgrund dafür, die Quote abzulehnen. Sie bekommen, was sie bekommen, nicht aufgrund ihrer Persönlichkeit und Fähigkeiten, sondern aufgrund des Merkmals Frau. Und wenn man sie darauf reduziert, Repräsentantinnen dieses Merkmal zu sein, sind sie völlig austauschbar – Frauen gibt es viele.
Im Einklang mit der Gruppenrepräsentationslogik werden immer häufiger Rederechte nach geschlechtlichen, ethnischen und soziökonomischen Merkmalen zugewiesen: Ein Mann darf nicht sprechen, wenn eine Frau sprechen will; eine weiße Frau darf nicht sprechen, wenn eine Frau mit dunklem Teint sprechen will; ein Mann darf keine eigene Meinung über Abtreibung äußern; Weiße dürfen keine eigene Meinung über Rassismus und Diskriminierung äußern und so weiter. Auch hierin wird die Entwertung des Individuums deutlich. Individuen treten nur als Stichprobe, als pars pro toto ihrer Identitätsgruppen auf – Weiße, Männer, Frauen, People of Color usw. Als solche sind sie, wie gesagt, austauschbar.
Diese Ideen kursieren bis tief in die politischen Parteien, den Wissenschaftsbetrieb und die Mainstreammedien hinein. Sie sind eine Absage an die Unantastbarkeit der Würde des Menschen, was bedeutet, des Individuums. Und sie etablieren einen tiefen Irrationalismus in den Institutionen, da sie Individuen unterschiedliche Rechte nach einem Schlüssel zuteilt, der nichts mit deren Kompetenzen zu tun hat.
In der neuen Linken gibt es die Vorstellung, dass die »Marginalisierten« einen besonderen Zugang zu Wissensbeständen hätten, der den »Privilegierten« verschlossen sei (hierzu ein Twitter-Strang von James Lindsay). Daher nütze es letztlich der Allgemeinheit, den Marginalisierten per Zwang Gehör zu verschaffen.
Soviel stimmt: Wer ein hartes Schicksal erlitten hat, der weiß ein paar Dinge, die ein glücklicherer Mensch so nicht weiß. Was nicht stimmt, ist, dass dieses Leiden irgendeine Kompetenz oder Qualifikation begründe, irgendwelche Ämter auszuüben oder soziale Zusammenhänge zu analysieren. Es begründet auch keinen guten Charakter, denn Leiden erzeugt oft Zorn und Bitterkeit.
Es ist wünschenswert, dass möglichst alle Perspektiven gehört werden, und die sozial Schwachen sollten eine Stimme haben, damit sie nicht vergessen werden. Aber um Probleme zu analysieren und Lösungen zu erarbeiten, braucht man mehr Qualifikation als das Wissen, wie es sich anfühlt, arm zu sein/diskriminiert zu werden/etc. Wenn man in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft das Kriterium der Qualifikation abwertet, werden alle drei schlechter funktionieren. Das hilft den Schwachen nicht. Wenn es eng wird, kommen sie als erstes unter die Räder.
Ein Parlament oder gar eine Regierung nach Geschlecht statt nach Qualifikation bzw. in freien Wahlen abgegebenen Stimmen zu besetzen ist in meinen Augen Korruption. Eine Regierung hat die Pflicht, die bestqualifizierten Personen auszuwählen, die zur Verfügung stehen, da sie die Verantwortung trägt, die bestmögliche Regierung für die Bevölkerung des Landes zu sein. Frauenfeindlich? Ich erinnere daran, dass die Bevölkerung, auf deren Kosten es geht, wenn eine Regierung auf qualifiziertes Personal verzichtet, zur Hälfte aus Frauen besteht.
Sozialkreationimus
Ich leiste mir hier einen etwas ausgefallenen Begriff, weil er mir der passendste zu sein scheint. Naheliegend wäre auch »Sozialkonstruktivismus« gewesen, doch das ist unscharf, denn ursprünglich bezeichnete »Konstruktivismus« etwas ganz Vernünftiges und Wichtiges, nämlich die Tatsache, dass die Begriffe, Theorien, Vorstellungen usw., mit denen wir uns die Wirklichkeit erschließen, soziale Konstruktionen sind. Der aus meiner Sicht unumstößliche Beweis dafür ist, dass man sich unterschiedliche Begriffe von derselben Sache bilden und die Sache auch unterschiedlich wahrnehmen kann.
Dies sind komplizierte Fragen und ich muss vereinfachen, um nicht abzuschweifen. Doch der springende Punkt dabei ist aus meiner Sicht, dass diese Konstruktionen nicht beliebig sind, sondern in gewissem Umfang von der objektiven Realität diktiert werden. Denn wenn unseren Theorien nicht als Landkarten für die objektive Realität funktionieren, können wir keine gewünschten Resultate durch unsere Handlungen herbeiführen und somit nicht überleben.
Vereinfachend und etwas formelhaft also kann man sagen, der Konstruktivismus behauptet, dass wir uns von einer objektiv gegebenen Wirklichkeit unterschiedliche Begriffe machen, während der Sozialkreationismus davon ausgeht, dass wir die Wirklichkeit mit unseren Begriffen erschaffen. Vor allem zielt dies natürlich auf die soziale und psychische Wirklichkeit.
Der Sozialkreationismus baut auf der Auffassung vom Menschen als unbeschriebenes Blatt, wie Steven Pinker sie im gleichnamigen Buch ausgeführt und kritisiert hat. Für jeden, der die entsprechende Forschung ernsthaft recherchiert, ist längst klar, dass die Auffassung vom Menschen als unbeschriebenes Blatt falsch und wissenschaftlich nicht haltbar ist. Doch ins öffentliche Bewusstsein jedenfalls der akademisch-publizistischen Sphären unserer Kultur ist dies noch nicht durchgedrungen. Dort herrscht einer überwältigenden wissenschaftlichen Evidenz (und der Logik) zum Trotz weiterhin ein Weltbild vor, in dem Menschen und Gesellschaften fast ausschließlich durch menschlich-gesellschaftliche Formung und Prägung zu dem werden, was sie dann faktisch sind. Die menschliche Natur wird unterschlagen.
Ich habe viele Jahre in den Sozialwissenschaften studiert und gearbeitet, bis hin zur Promotion in Soziologie, und kann bestätigen, dass dieses Menschenbild dort hegemonial ist. Der Aufsatz »The Psychological Foundations of Culture« (PDF) von den Begründern der evolutionären Psychologie, John Tooby und Leda Cosmides, zerpflückt dieses »Standard Social Science Model« meisterhaft und gehört zu den besten wissenschaftlichen Texten, die ich je gelesen habe.
Den meisten Vertretern der Sozialwissenschaften kommt nie in den Sinn, dieses Modell in Frage zu stellen. Und das ist bei Weitem nicht nur eine müßige Theoriefrage, denn auf diesem Welt- und Menschenbild beruhen weit verbreitete und politisch wirksame Vorstellungen von einer praktisch unbegrenzten Umerziehbarkeit des Menschen und Umbaubarkeit der Gesellschaft.
Zusammen mit diesen Vorstellungen entsteht ein moralischer Imperativ, Umbau und Umerziehung in Angriff zu nehmen. Wir sind nach dieser Auffassung unbeschriebene Blätter und als solche völlig gleich und nahezu beliebig programmierbar. Wir könnten also in einer Gesellschaft von lauter Gleichen leben. Wenn wir das könnten, es aber nicht tun, begehen wir ein Unrecht. Dies gilt es zu bekämpfen. In diesem Gedankengang steckt ein Auftrag, die Kultur buchstäblich einzuebnen.
Auf dieser Basis kann man auch die Frage knapp beantworten, welche Rolle der Feminismus im Culture War spielt. Die Geschlechterunterschiede sind die klarste Evidenz, die für alle Menschen deutlich erkennbar den Sozialkreationismus widerlegt. Die neue Linke muss sie leugnen, um ihren Utopismus und ihr Wertesystem zu beschützen, die auf dem Menschenbild des unbeschriebenen Blattes beruhen. Diese Motivation der Weltbildverteidigung ist hier wie anderswo die Quelle der spezifisch linken (es gibt natürlich auch eine rechte) Wissenschaftsfeindlichkeit.
Professionalisiert hat sich diese Wissenschaftsfeindlichkeit ein einer Spielart des Postmodernismus, deren schönste Erzeugnisse man auf dem Twitter-Account Real Peer Review bestaunen kann. Er fügt der Auffassung, dass wir durch Worte (»Diskurse«) Wirklichkeit erschaffen, diejenige hinzu, dass dies stets dem Machterhalt des Sprechers diene. Die Mächtigen reproduzieren durch Diskurse ihre Macht, die Marginalisierten werden »unsichtbar gemacht«. Einen Marktplatz und Wettstreit der Ideen gibt es hier nicht, ebensowenig eine Hoffnung darauf, dass die Wahrheit oder die bessere Idee sich durchsetze. Außerdem würde ja schon die Vorstellung einer »besseren Idee« wieder Hierarchien herstellen und legitimieren.
Es gibt nur den nackten Machtkampf zwischen Herrschenden und Unterdrückten, der sich unter anderem wissenschaftlicher Formen bedienen kann. Mit dieser Annahme legitimiert sich die Zensurfreude der neuen Linken, vom Deplatforming und Niederbrüllen von Sprechern über die Proteste gegen die bloße Anwesenheit rechter Verlage auf Buchmessen bis zu den Begehrlichkeiten, soziale Netzwerke politisch zu filtern. Unterdrücker darf und muss man zum Schweigen bringen.
Dieser Gedanke wird praktisch auf die Wissenschaft angewendet. Der wissenschaftliche Korpus ist das Werk alter, weißer Männer, die mit ihm ihre Macht absichern. Daraus folgt eine Abwertung dieses Wissens und der Glaube, wenn man »Diversity« in den Wissenschaftsbetrieb einführt, würde dadurch automatisch das Wissen besser (hier ein Fallbeispiel). Im Jahr 2016 machte ein Artikel in einer Gender-Studies-Fachzeitschrift die Runde, der die theoretische Überlegung anstellte,
»… dass eine künftige pädagogische Priorität der Womens’s Studies darin besteht, die Studenten nicht nur einen Wissensbestand zu lehren, sondern ihnen auch beizubringen, symbolische »Viren« zu sein, die traditionelle und fest verwurzelte Felder infizieren, erschüttern und zerstören.« [»infect, unsettle and disrupt«]
Ein Bekannter erzählte mir davon, wie er einmal an einer deutschen Universität einen Vortrag vor einem Fachgremium hielt und anschließend dafür kritisiert wurde, dass er »viele Männer zitiert« habe. Offenbar wird inzwischen erwartet, dass man die wissenschaftliche Literatur, auf die man sich stützt, nach außerwissenschaftlichen Kriterien (letztlich Diversity-Quoten) auswählt. Im Rahmen des postmodernistischen Denkens dient dies der Wissenschaft; siehe oben. Doch es ist ein radikaler Bruch mit dem Wissenschaftsverständnis der Aufklärung. (Hier erklärt Jonathan Haidt, warum Bildungseinrichtungen sich entscheiden müssen, ob sie Wahrheit oder »Social Justice« anstreben wollen – beides geht nicht.)
Autoritarismus
Allgemein ist Autoritarismus eine Intoleranz gegen Abweichler, die sich in dem Wunsch nach einer Autorität ausdrückt, welche das Abweichlertum unterdrücken und für soziale Homogenität sorgen soll (Eine Frau: Karen Stenner: The Authoritarian Dynamic. Oder kürzer hier: Three Kinds of Conservatism (PDF)). In Bezug auf die Linke ist das zunächst mal paradox, da sich die Linke doch geradezu dadurch definiert, antiautoritär und egalitär zu sein.
Es gibt hier zwei Fragen zu beantworten: erstens die, inwiefern sich linker Autoritarismus überhaupt beobachten lässt, zweitens die, wie er psychologisch zu erklären und philosophisch zu begründen ist.
Zur ersten: Die Verachtung der neuen Linken für Menschen, die ihre Werte nicht teilen, und ihr Selbstverständnis als weltoffen und tolerant bilden den wohl krassesten Selbstwiderspruch dieses Lagers. In ihrem strahlenden Selbstbild heißen sie die ganze Welt im eigenen Wohnzimmer willkommen; in Wirklichkeit sind sie schon überfordert damit, die Existenz des konservativen Nachbarn zu ertragen.
Heutige Linke blocken mehr in sozialen Netzwerken, kündigen häufiger Freundschaften und meiden eher Kollegen aufgrund politischer Differenzen (Pew Research sowie hier). Sie nutzen Parolen wie »Hass ist keine Meinung«, um die Unterdrückung von Wortäußerungen zu rechtfertigen, die ihren Werten widersprechen. Sie bekunden mit Hashtags wie #unteilbar und #wirsindmehr ihre Absicht, als homogene Mehrheit eine Minderheit zum Schweigen zu bringen. Sie stören und verhindern Vorträge, Demonstrationen und Parteiveranstaltungen derjenigen, die ihre Werte nicht teilen. Sie erlassen politisch korrekte Sprachregelungen und drängen darauf, diejenigen zu sanktionieren, die sich nicht daran halten. Sie üben selbst Gewalt gegen den politischen Gegner aus oder schreiben Artikel, in denen sie diese Gewaltausübung rechtfertigen.
All das ist Autoritarismus im Sinn der Definition: Intoleranz gegen Abweichungen von der eigenen normativen Vorstellung von der Gesellschaft zusammen mit dem Wunsch nach der Unterdrückung solcher Abweichungen durch gesellschaftliche Autoritäten.
Wie verhält sich dies aber nun zum Selbstbild der Linken als antiautoritär? Ich will hier zweierlei ansprechen, um die Merkwürdigkeit einer autoritären Linken zu erklären.
Erstens ist die Linke in den Institutionen angekommen. Sie hat große Teile der Politik und Verwaltung und noch größere der Medien und des Wissenschaftsbetriebs im Griff. Die Linken sind die Herrschenden. Gleichzeitig sehen sie sich weiterhin als emanzipative Kraft und verorten sich auf der Seite der Schwachen. Das ist eine objektive Paradoxie, mit der Linke zu kämpfen haben und die das Muster hervorbringt, das der Soziologe Armin Nassehi auf die Formel »links reden, rechts leben« gebracht hat. Das linke Reden handelt von Weltoffenheit und Solidarität; das rechte Leben heißt: bevorzugt unter sich bleiben und Privilegien verteidigen.
Die Linke legitimiert ihre Herrschaft teilweise damit, dass sie ideologisch eigentlich gegen Herrschaft ist. Sie versucht, gesellschaftliche Verhältnisse im Sinn ihrer Werte zu verändern. Gleichzeitig hält ihre eigene bequeme Position sie davon ab, sie allzu sehr zu verändern. Die Synthese aus revolutionärem Geist und faktischer Etabliertenposition ergibt als Programmatik so etwas wie eine Revolution von oben. Praktisch äußert sich dies zum Beispiel in verordneter Gendersprache, Diversity-Quoten und Enteignungsdebatten.
Zweitens ist sicherlich nur ein Teil der Linken und wohl auch nur ein Teil der neuen Linken autoritär. Doch dieser Teil genügt, um der gesamten Linken ihren Stempel aufzudrücken. Tendenziell ist das bei allen sozialen Bewegungen so – die Mehrheit der Menschen ist nicht besonders politisch und arrangiert sich mit dem, was politisch passiert, soweit möglich. Überzeugte und aktive Minderheiten der verschiedenen Lager ziehen und zerren derweil in verschiedene Richtungen. Diese Minderheiten bringen mehr Energie in die politische Arena ein als die halb- bis unpolitischen »Normies« und können daher Akzente setzen, Agenden bestimmen, Schlüsselpositionen erobern (etwa in den Medien) und ihren Einfluss auf die Normies maximieren.
Ich nehme an, dass hier eine Kerngruppe von Autoritären wirkt, die sich in Temperament und Einstellung deutlich von der Masse der Linken unterscheidet. Jordan Peterson hat zusammen mit Catherine Brophy, einer seiner Absolventinnen, eine Studie zur politischen Korrektheit durchgeführt, die ergab, dass Anhänger der Politischen Korrektheit andere psychologische Eigenschaften aufweisen als »herkömmliche« Linke. Die Vertreter der politischen Korrektheit unterteilen sich demzufolge in zwei Gruppen: Egalitäre und Autoritäre. Hier eine Zusammenfassung (meine Übersetzung):
PC-Egalitäre hatten eher an Seminaren teilgenommen oder Erfahrungen gemacht, die ihre Empfindlichkeit für individuelle Unterschiede und Ungleichheit beeinflusst haben, hatten einen größeren Wortschatz, waren offener für neue Erfahrungen und identifizierten sich stärker mit historisch benachteiligten Gruppen.
Dies ist klar das Profil der klassischen Linken, deren hervorstechendstes psychologisches Merkmal die starke Ausprägung des Persönlichkeitszugs Offenheit für Erfahrung aus dem Big-5-Konstrukt ist. Dazu folgt demnächst hier ein Artikel. (Nachtrag: hier ist er).
PC-Autoritäre waren im Gegensatz dazu religiöser, reagierten empfindlicher auf Ekel und Verschmutzung, hatten ein größeres Bedürfnis nach Ordnung sowie einen kleineren Wortschatz und wiesen häufig eine Angst- oder Gemütsstörung bei sich selbst oder im engeren Familienkreis auf.
Die Ekelempfindlichkeit und das Bedürfnis nach Ordnung sind eigentlich klassisch rechte Eigenschaften.
Bob Altemeyer kam in seinem Buch »The Authoritarian Specter« von 1996 am Rande zu einem ähnlichen Befund. Um zu prüfen, ob es neben dem rechten auch einen linken Autoritarismus gibt, konstruierte er einen entsprechenden Fragebogen, der etwa erhob, ob man sich einem starken Führer im Kampf gegen das Establishment anschließen würde und Ähnliches. Der interessante Befund war, dass teilweise dieselben Personen, die dergleichen bejahten, auch die Items des rechten Autoritarismus bejahten. Altemeyer bezeichnete diese Gruppe als »Wild-Card Authoritarians«, weil sie sich unbesehen des Inhalts zum Prinzip von Autorität und Unterwerfung hingezogen zu fühlen scheinen (Altemeyer 1996, S. 223f.). Diese Wild-Card Authoritarians hatten die höchsten Werte in politischer Korrektheit, höher als sowohl Rechte als auch Linke (ebd., S. 233).
… und was ist mit der rechten Gefahr?
If you have always believed that everyone should play by the same rules and be judged by the same standards, that would have gotten you labeled a radical 50 years ago, a liberal 25 years ago and a racist today.
Thomas Sowell
Die heute vorherrschende Meinung ist, dass wir es mit einer »rechten Gefahr« zu tun haben. Vor diesem Hintergrund erscheint es sicher merkwürdig, die Linke als Gefahr auszumachen. Was hat es damit auf sich? Bin ich rechts?
Zweifellos würden einige Vertreter der neuen Linken mich rechts verorten. Aber dazu braucht es auch nicht viel.
Ist man rechts, wenn man Tatsachen anerkennt wie die, dass nicht jeder Einwanderer ein Flüchtling ist, dass Einwanderung auch Probleme mit sich bringt und dass die Zahl der Einwanderer, die ein Land verkraften kann, irgendwo begrenzt ist? Ist man rechts, wenn man Ehe und Familie für wertvolle Institutionen hält? Ist man rechts, wenn man Unternehmen nicht verteufelt, sondern ihnen für den Wohlstand dankbar ist, der unsere moderne Zivilisation ermöglicht? Ist man rechts, wenn man glaubt, dass es zwei Geschlechter gibt und einige seltene Unregelmäßigkeiten sowie normale Variationen in Geschlechtsaspekten der Persönlichkeit durchaus existieren, aber keine zusätzlichen Geschlechter darstellen? Ist man rechts, wenn man politische Gewalt und die gewaltsame Unterdrückung ziviler Meinungsäußerungen ablehnt? Ist man rechts, wenn man von Linken fordert, sich der Diskussion zu stellen? Ist man rechts, wenn man meint, dass jeder Bürger dasselbe Recht darauf hat, dass seine durch Wahlen ausgedrückten Präferenzen im politischen Handeln der Regierung repräsentiert werden, auch wenn Linken diese Präferenzen nicht gefallen? Ist man rechts, wenn man die westliche Zivilisation für eine gute Sache hält und sich wünscht, dass sie noch eine Weile erhalten bleibt?
Wenn man diese Fragen bejahen kann, bin ich wohl rechts. Übrigens bin ich nach heutigen Maßstäben wohl auch ein Rassist, weil ich meine, dass die Rasse für den Wert, die Würde und die Rechte eines Menschen keine Rolle spielt. Die neue Linke sieht das anders.
Ein Sexist bin ich wohl ebenso, da in meinen Augen das Geschlecht für den Wert, die Würde und die Rechte eines Menschen keine Rolle spielt. Die neue Linke sieht das ebenfalls anders.
Das alles heißt nicht, dass es nicht potentiell eine rechte Gefahr gibt. Aber im Moment sehe ich mit den 90 rechts besetzten Sitzen im Parlament keine Machtergreifung drohen. Die Rechten haben auch nicht die Massenmedien, die Schulen und den Wissenschaftsbetrieb im Sack, sondern sind dort marginal bis nicht vorhanden.
Bezüglich Machtergreifung wage ich zu behaupten: Sollten die 13 % der AfD in eine irgendwie gefährliche Größenordnung anwachsen, ohne dass dies mit einer Mäßigung der Partei in Richtung der politischen Mitte einherginge, dann wird das nicht primär das Werk der Rechten sein. Die Ursache werden entweder Exzesse der neuen Linken sein oder irgendeine schwere Krise, etwa ein Zusammenbruch der Wirtschaft. Die jetzt Herrschenden und wir alle haben die Aufgabe, ein Abdriften ins soziale Chaos zu verhindern. Soweit das gelingt, haben rechtsextreme Angebote keinen Markt.
Wie gesagt halte ich den Autoritarismus, die Arroganz und die Intoleranz der neuen Linken wesentlich für eine Folge ihrer Machtposition. Dass heute eher die Linke für Einschränkungen der Meinungsfreiheit und eher die Rechte für ihre Verteidigung steht, liegt schlicht daran, dass die Linke ihre Diskurshoheit verteidigt und die Rechte diese angreifen will. Ich zweifle keine Sekunde daran, dass sich dieses Gefüge umkehren würde, wenn die Rechte in der Machtposition wäre, in der die Linke ist, und dort eine ähnlich autoritäre Selbstgefälligkeit entwickelte. Und dann würde ich auch primär die Rechte kritisieren.
Hinsichtlich der »rechten Gefahr« ist abschließend zu sagen, dass, soweit es sie gibt, die aus den Fugen geratene neue Linke wesentlich dafür verantwortlich ist. Ihre Hegemonie ist ihr zu Kopf gestiegen. Das jahrelange Privileg vieler ihrer Vertreter, es sich leisten zu können, unter ihresgleichen zu bleiben, hat einen Habitus gezüchtet, der den Fortbestand konservativer Werte und eines rechten Flügels als unerträgliche Zumutung empfindet statt als Selbstverständlichkeit einer pluralistischen Gesellschaft. Diese Linke ist arrogant und selbstgefällig geworden.
Innerhalb einer solchen Sphäre der Selbstgefälligkeit geschieht etwas, das für eine aufgeklärte Demokratie fatal ist: die Kritik stirbt. Das parlamentarische System ebenso wie die Wissenschaft lebt von Kritik. Menschen sind nicht dafür geschaffen, Gewissheiten in Frage zu stellen, die sie mit allen anderen Mitgliedern ihrer Gruppe teilen. Man braucht dazu Wissen und Informationen, die in dieser Gruppe nicht zirkulieren, und es ist ist schlicht unangenehm. Man zieht sich auch nicht im Winter bei 10 Grad unter null bis auf die Unterhose aus und stellt sich in den Garten. Man bräuchte einen Anlass dafür.
Ein gefestigtes Wissen und eine starke Argumentation zu entwickeln setzt voraus, dass man herausgefordert wird, immer und immer wieder. Wenn man stattdessen immer nur den vorhersehbaren Beifall für vorhersehbare Phrasen kassiert, führt das zu einer intellektuellen Verwahrlosung. Man wird faul und selbstgefällig. Man hält sich für schlau – sonst würde man ja nicht ständig Beifall erhalten – aber in Wahrheit dreht man sich nur noch um sich selbst. Und da man sich nicht mehr mit der Komplexität der Wirklichkeit konfrontiert, fängt man an, schlechte, weil halb blinde Entscheidungen zu treffen.
Es waren also, meine ich, erstens überzogene Herrschaftsansprüche und zweitens die Folgen einer Reihe von schlechten, unüberlegten Entscheidungen der Linken, die zu Widerstand in Form des »Rechtsrucks« geführt haben. (Jetzt kann man natürlich bestreiten, dass Merkel eine Linke sei, ich würde das auch nicht behaupten, aber sie hat sicherlich etwa mit dem Atomausstieg und »Refugees Welcome« linke Stimmungen aufgegriffen.)
Wir brauchen schlicht wieder eine Balance zwischen Regierung und Opposition sowie in der weiteren Gesellschaft einen Wettstreit der Meinungen anstelle des Schwarzweißbildes einer guten Meinung, deren Güte außer Frage steht, und einer bösen, verbotenen, zu bekämpfenden Meinung. Wir brauchen wieder eine Kultur der Kritik anstelle einer Kultur der geistlosen Konformität. Darum geht es mir und daraus erklärt sich auch unmittelbar, dass meine Kritik primär nach links geht.
Der Balken in meinem Auge
Warum beschäftigt man sich überhaupt mit dem Culture War, anstatt sich einfach einen schönen Tag zu machen? Warum tut man sich das an?
Weil irgendetwas daran einen berührt, beunruhigt, beschäftigt, ärgert oder ängstigt. Sicher, das ganze hat auch einen Unterhaltungswert, die Memes und all das. Doch den hat es nur, weil es relevant erscheint, bzw. nur für die, denen es relevant erscheint.
Das heißt, man ist emotional in die Sache verstrickt. Das äußert sich in vielen Irrationalitäten und Feindseligkeiten, wie man sie in der höchsten Dichte auf Twitter beobachten kann, aber auch in den Leserkommentaren bei Medienerzeugnissen sowie in etwas zivilisierteren Formen in den Medienerzeugnissen selbst. Der kleinste gemeinsame Nenner dieser Irrationalitäten ist vielleicht die allgegenwärtige Auffassung, die jeweiligen Gegner seien böse und dumm und auf Zerstörung aus.
Die wollen zerstören – das ist der Aussagekern vieler Vorwürfe, den die Mitglieder moralischer Gemeinschaften gegen verfeindete moralische Gemeinschaften erheben. Und das ist nicht nur eine Propagandabehauptung, sondern auch eine Wahrnehmung.
Motivierte Argumentation
Jedes Informationsfragment, das einem in die Hände fällt, wird als Beweis dafür interpretiert, dass dieser Vorwurf zutrifft. Dazu misst man die Gegenseite an unmöglichen Maßstäben (zum Beispiel wird ein Tweet eines anonymen Twitter-Accounts mit drei Followern zum Beweis für das, »was die wirklich denken«) und sieht der eigenen Seite notfalls alles nach (schwarze Schafe gibt’s überall, niemand ist perfekt). Während jeder beansprucht, Wahrheit, Rationalität und Wissenschaft auf seiner Seite zu haben, ist leicht zu sehen, dass große Teile davon lediglich ein Zirkus des motivated reasoning sind: des Herbeierfindens von Rechtfertigungen und Gründen für das, was man glauben will und auch ohne diese Rechtfertigungen und Gründe glauben würde.
Wenn Beweisaufnahme und Schlussfolgerungen immer zu einem Ergebnis führen, das schon vorher feststand, sollte einen das argwöhnisch machen. Aufgrund unserer Verstrickung tut es das aber meistens nicht.
Menschen finden immer Rechtfertigungen und Gründe dafür, zu glauben, was sie glauben, und zu tun, was sie tun. Das ist eine unserer leichtesten Übungen. Deshalb sind wir so anfällig für Selbstbetrug. »Hier steht Meinung gegen Meinung – aber ich habe recht, weil ich meine Meinung gut begründen kann!« Aber das kann jeder. Wenn man über Bildung, rhetorisches Geschick und einen großen Wortschatz verfügt, ist man sicherlich geschickter darin, Begründungen zu erfinden – aber eben auch geschickter darin, sich und anderen etwas vorzumachen.
Eine sehr gute Formel, um sich zu veranschaulichen, wie dieses motivierte Argumentieren funktioniert, habe ich wieder von Jonathan Haidt. Sie geht so: Wenn wir etwas glauben wollen, dann fragen wir: Darf ich das glauben? Und wenn wir etwas nicht glauben wollen, fragen wir: Muss ich das glauben?
Wir wollen zum Beispiel glauben, dass eine vegetarische Ernährung gesünder ist. Wir starten eine Google-Suche und finden eine Studie, die das bestätigt. Hervorragend. Wir dürfen nun glauben, dass eine vegetarische Ernährung gesünder ist und dass wir gute Gründe haben, das zu glauben, da wir von dieser Studie wissen.
Oder wir sind Fleischesser und jemand behauptet, dass eine vegetarische Ernährung gesünder sei. Wir wollen das nicht glauben. Wir starten eine Google-Suche und finden dieselbe Studie, die auch obiger Vegetarismusfreund gefunden hatte. Wir sehen sie uns genauer an und finden eine methodische Schwäche darin, oder Indizien für Interessenkonflikte der Autoren, oder wir suchen weiter und finden zwei andere Studien, die das Gegenteil behaupten und von denen eine sogar neuer ist. Hervorragend. Wir müssen nicht glauben, dass eine vegetarische Ernährung gesünder sei, denn wir haben gute Gründe dafür gesucht und gefunden, es nicht zu glauben.
In unserer Medienwelt findet sich immer mindestens eine Stimme, die uns bestätigt. Wer sich für die Wahrheit interessierte, müsste eigentlich gezielt den Stimmen zuhören, die den eigenen Überzeugungen widersprechen, um deren Argumente und Beweise ernsthaft gegen die eigenen antreten zu lassen. Man müsste gezielt das lesen und ernst nehmen, was man verabscheut. Man müsste gezielt das lesen und ernst nehmen, was die Dinge zu bedrohen scheint, die einem lieb sind. Was die Dinge zu beschmutzen scheint, die einem heilig sind. Wer tut das freiwillig?
Die emotionale Abwehr dessen, was das andere Lager sagt, bis hin zu Wut und Hass und dem Wunsch, es möge vom Erdboden verschwinden, gehört zu den Hauptthemen, die ich hier behandeln will. Woher kommt diese emotionale Energie? Warum regt es uns auf, warum quält es uns, wenn jemand die Dinge anders sieht als wir?
Die Antwort hat verschiedene Aspekte, die wiederum ineinander verschlungen sind. Ich habe hier diverse Ansätze, aber noch keine Klarheit.
Ein Aspekt ist so etwas wie die Verteidigung eines gekränkten oder bedrohten Egos. Wenn ich tief an etwas glaube und du dieses Etwas angreifst, fühle ich mich angegriffen. Hieran schließt die Folgefrage an, warum Teile unserer Wissensbestände und Annahmen eine solche Rolle für unser Ego einnehmen und andere nicht. Manche Irrtümer können wir sofort und ohne jede Aufregung korrigieren, wenn wir neue Informationen erhalten. Bei anderen brauchen wir Monate oder Jahre dafür oder bringen es nie zustande.
Ein anderes Motiv hängt mit dem menschlichen Tribalismus zusammen. Gemeinsame Glaubenssysteme binden Menschen zu Gruppen zusammen und ermöglichen Kooperation und Koordination. Dazu gehört auch eine mehr oder weniger heftige Abwehrreaktion, die einsetzt, wenn die heiligen Werte unserer moralischen Gemeinschaft in Frage gestellt werden. Der Angreifer erscheint uns böse, schlecht, verkommen; eben als Verkörperung der Antithese dessen, was uns heilig ist.
Hilfreich in diesem Zusammenhang scheint mir auch eine Kernidee der Philosophie von Jordan Peterson, die in seinem ersten Buch »Maps of Meaning« ausgeführt wird. Demzufolge unterteilt sich die Welt für Menschen in erforschtes und unerforschtes Gebiet, oder mit anderen Worten, in Ordnung und Chaos. Interessant und fruchtbar ist das Leben an der Grenze zwischen beiden. Hielten wir uns nur in erforschtem Gebiet auf, würden wir mangels Herausforderung und Stimulation verkümmern. Im völligen Chaos dagegen sind wir orientierungslos und verfallen in Panik.
Die Regeln und Strukturen der Kultur, in die wir integriert sind, verwandeln die Welt um uns herum in erforschtes Gebiet. Wenn sie instabil werden, droht eine Rückkehr des Chaos.
Something we cannot see protects us from something we do not understand. The thing we cannot see is culture, in its intrapsychic or internal manifestation. The thing we do not understand is the chaos that gave rise to culture. If the structure of culture is disrupted, unwittingly, chaos returns. We will do anything — anything — to defend ourselves against that return.
Jordan Peterson in »12 Rules for Life«
Hass ist eine zerstörerische Kraft. Er hält die Illusion aufrecht, dass diejenigen, die die heiligen Werte der Eigengruppe nicht teilen, das Böse verkörpern. Wo Gruppen einander für »das Böse« halten, ist keine Verständigung möglich und droht die gewaltsame Konfrontation. Der, den ich hasse, kann mich nicht erreichen, ebensowenig wie ich ihn. Alle Beteiligten werden in Bezug auf die entscheidenden Streitfragen dümmer und gegenüber dem Gegner grausamer. Wechselseitiger Hass bedeutet Entzivilisierung.
Die diversen Initiativen gegen Hass im Netz sind leider Fehlkonstruktionen. Sie sind in Wahrheit Initiativen gegen Rechts, nicht gegen Hass, da sie auch rechte Gedanken bekämpfen, die nichts mit Hass zu tun haben, und linken Hass ignorieren. Eine Initiative gegen Hass hätte theoretisch die Chance, eine Kommunikationsgrundlage zu schaffen, der alle zustimmen können: wir wollen uns ohne Hass streiten. Indem sie sich aber von vornherein gegen eine der Parteien stellen, zwischen denen eine Vermittlung nötig wäre, disqualifizieren sie sich als Vermittler.
Sort yourself out
Wo hat man eine Chance, Hass zu bekämpfen und ihn damit wirklich zu reduzieren? Bei sich selbst. Und hier komme ich zurück auf die eingangs angesprochene Notwendigkeit, den eigenen Standpunkt zu reflektieren. Wenn ich Leute hasse und das damit rechtfertige, dass sie Hass verbreiten, dann ist das verdächtig. Wenn ich böse Gedanken und Gefühle gegen andere hege und das damit rechtfertige, dass die böse seien, dann ist etwas faul. Es ist menschlich, aber deswegen ist es nicht gut.
Ich habe bisher nicht kontinuierlich über die Themen des Culture War geschrieben, schon gar nicht öffentlich, obwohl es mich seit Jahren beschäftigt. Es war mir zu groß. Zu viel Chaos. Ich war gleichzeitig zu unsicher und zu wütend. Ich wusste irgendwo selbst, dass ich Unsinn rede, dass ich in Wirklichkeit nur emotional herumstrampele, statt zur Klärung von irgendwas beizutragen; dass ich motiviert argumentiere, dass ich irrational, selbstgerecht, rachsüchtig war. Auf dieser Basis konnte ich nicht daran glauben, dass ein Beitrag meinerseits irgendeine positive Wirkung zeitigen würde. Selbstsüchtige Motive und verwickelte emotionale Motivationen, über die ich selbst keine Klarheit hatte, führten meine Idee ad absurdum, einen rationalen und wissenschaftlich fundierten Zugang zu den Konflikten unserer Zeit zu eröffnen. Gleichzeitig war es für mich zu kräftezehrend. Es nahm mich zu sehr mit, ging mir zu nahe, zog mich zu sehr runter.
Leicht verletzt zu sein ebenso wie eine Neigung zu Wut und Selbstgerechtigkeit sind Anzeichen dafür, dass im eigenen Leben etwas nicht stimmt. Ich habe das irgendwann kapiert und in den letzten etwa zwei Jahren vieles in meinem Leben in Ordnung gebracht. Meinen Haushalt, meine berufliche Situation, meinen Tag-Nacht-Rhythmus, meinen Tagesablauf, meine Sucht. Letzteres waren nur Zigaretten, aber Sucht hat unabhängig von der betreffenden Substanz eine tiefere Dimension, und meine war ziemlich stark ausgeprägt. Es gibt übrigens aufschlussreiche Parallelen zwischen Sucht, ideologischer Besessenheit und Sektenverhalten, die ich demnächst in einem Artikel (oder auch mehreren) behandeln werde.
Ich bin auch jetzt natürlich nicht frei von alledem, von Wut, von Selbstgerechtigkeit, von Selbstbetrug. Aber ich bin frei genug, um mich der Sache zu stellen und den Rest meiner Auseinandersetzung damit in der Öffentlichkeit zu bestreiten, in der Hoffnung, dass es anderen nützt und ich umgekehrt davon profitieren kann, auf meine Fehler hingewiesen zu werden.
Warum erwähne ich diese persönlichen Dinge hier überhaupt? Weil ich davon überzeugt bin, dass ein großer Teil des Hasses und der Irrationalitäten, mit denen wir zu kämpfen haben, daher rührt, dass Menschen mit sich selbst nicht im Reinen sind, ihre inneren Dämonen nach außen projizieren und schlicht um sich schlagen, weil sie leiden. Ich weiß das besser aus eigener Erfahrung, als mir lieb ist. Deshalb wäre die Geschichte hier unvollständig, wenn ich es nicht erwähnte.
Der Sprung in den Glauben
Die Wahrheit ist eine heilende und stärkende Kraft, aus der ich schöpfe, während ich die Arbeit hier beginne.
Ich meine »die Wahrheit« nicht im populistischen Sinn à la »Die Wahrheit über die Mondlandung«. Ich meine Wahrheit im Sinne des Logos, im Sinne von Jordan Petersons »Speak the truth – or at least don’t lie«. Es ist das Kapitel in seinen »12 Rules«, das den tiefsten Eindruck bei mir hinterlassen hat. Es schildert, wie Menschen durch die Bereitschaft, zu lügen oder zu schweigen, zur Erschaffung einer Hölle auf Erden beitragen, und wie Wahrheit umgekehrt reinigt und erhebt. Sowohl den Sprecher als auch seine soziale Umgebung.
Eine Selbstverpflichtung darauf, die Wahrheit zu sagen, ist ein Sprung in den Glauben: den Glauben, dass die Wahrheit zu sagen letztlich zu den richtigen Konsequenzen führen wird (welche nicht unbedingt die sind, die man sich wünscht). Man muss diesen Glauben nicht mit Gott begründen. Aber es ist ein Akt des Glaubens.
Diesen Glauben habe ich gefunden, jedenfalls in ausreichender Menge, um das Projekt zu starten. Und das ist mein Vorsatz: Nichts zu sagen, von dem ich nicht glaube, dass es wahr ist. Das klingt trivial, aber das ist es nur, wenn man es nicht ernst nimmt. Im Hinterkopf wissen wir, wenn wir Dinge verzerren oder auslassen, damit eine Erzählung besser unserer Agenda dient; wir wissen, wenn wir drauflos urteilen, ohne uns informiert zu haben; wir wissen, dass der andere wahrscheinlich nicht der bösartige Dämon ist, als den wir ihn im Moment sehen und darstellen. Aber wir sind sehr gut darin, dieses bessere Wissen zu übergehen und zum Schweigen zu bringen. Das selbstgerechte Urteilen ist nun mal befriedigend und die Konfrontation mit Komplexität, Widersprüchlichkeit und eigenen Schwächen anstrengend. Wie andere Fragen des Charakters ist Wahrheitsliebe daher ein langfristiges Projekt. Man kann sich angewöhnen und antrainieren, auf diese innere Stimme zu hören, die sich meldet, wenn wir Mist bauen, oder eben das Gegenteil.
Die Wahrheit tut weh und heilt. Ich habe viel Energie investiert, um der Wahrheit ins Auge zu sehen und so Frieden mit meinem Leben zu schließen. Das hat mich weit genug vorangebracht, um dieses Projekt hier zu wagen und meine Wahrheitssuche öffentlich fortzusetzen.
Geschäftliches
Ich werde mindestens einmal pro Woche einen Artikel posten und arbeite täglich mindestens eine Stunde daran, in der Regel wohl eher zwei. Ich setze mir dieses regelmäßige Ziel, weil meine Texte sonst ständig ausufern und nie fertig werden.
Mehr als dieses Pensum ist im Moment nicht möglich, da ich Geld verdienen muss und Abends ein bisschen Freizeit haben möchte. Ich würde aber gerne mehr an Projekten wie diesem arbeiten. Ideen habe ich genug.
Daher baue ich hier in den nächsten Tagen eine Fördermöglichkeit ein. Es ist vielleicht ungewöhnlich, das zu tun, bevor es überhaupt ein Publikum gibt. Ich entscheide mich trotzdem dafür, weil es sozusagen Teil des Angebots ist, das ich hier unterbreite: Wer mehr lesen will, kann das Blog unterstützen und mir damit die Möglichkeit geben, mehr zu schreiben.
Na Sebastian, auch wieder da?
Jetzt möchtest du also das „Scheitern der Kommunikation zwischen moralischen Gemeinschaften“ analysieren?
Wie wäre es damit, um diesem hehren Ziel näher zu kommen, mal zu versuchen Kriterien wahrheitsorientierten Kritisierens konkret einzuhalten?
Wahrheitsorientierung bei Kritik beinhaltet m.E. folgende vier Aspekte:
1. Bereitschaft zu ausreichender Recherche.
2. Bereitschaft die kritisierte Position zu verstehen und inhaltlich zutreffend darzustellen.
3. Bereitschaft Kritik an die richtige Adresse zu liefern und nicht an die falsche, (das wäre nämlich Verleumdung und Falschbeschuldigung). Hierbei ist die Berücksichtigung von Strömungsdifferenzierungen oft wichtig.
4. Die Bereitschaft zur Selbstkorrektur, wenn man sich mal geirrt hat.
Da du ja die letzten zwei Jahre auf deinem Twitter-Account bei vielen (aber nicht allen) deinen Twitter-Beiträgen und Twitter-Retweets und auf deinem vorherigen Blog bei einigen (aber nicht allen) deinen Artikeln auf diese Kriterien geschissen hast – ähnlich wie dein Guru Jordan Peterson dies ständig tut – wäre es nicht realistisch zu erwarten, dass sich daran bei dir in nächster Zeit grundlegend etwas ändert, aber es würde dir sicherlich nicht schaden, mal darüber nachzudenken.
Ich finde diese vier Kriterien übrigens ein gutes Instrumentarium um linke, rechte und andere Formen von Political Correctness auf dieser Grundlage einer kritischen Analyse zu unterziehen. Ein Artikel von mir dazu folgt voraussichtlich in ein paar Monaten. Er trägt den Arbeitstitel „Die Tiefenstruktur der Political Correctness“ und soll am Beispiel eines systematischen Vergleichs zwischen jeweils zwei Formen linker Political Correctness und zwei Formen rechter Political Correctness (u.a. auch die Ideologie von Jordan Peterson) herausarbeiten, was verschiedenen Formen von Political Correctness gemeinsam ist. (Political Correctness kann sich m.E. potentiell in allen politischen, religiösen, philosophischen und sogar wissenschaftlichen Strömungen herausbilden.) Was allen Formen von Political Correctness gemeinsam ist (zumindest ab einer bestimmten Komplexitätsstufe), das nenne ich die Tiefenstruktur der Political Correctness. Und einer von mehreren Aspekten, der allen Formen von Political Correctness m.E. gemeinsam ist, ist der Verzicht auf die vier genannten Kriterien wahrheitsorientierten Kritisierens. Dieser Verzicht findet sich sehr ausgeprägt zum Beispiel bei extremen politisch korrekten postmodernen Linken sowie bei deinem Guru Jordan Peterson. (Nicht alle postmodernen Linken sind politisch korrekt, insbesondere die bekanntesten Autoren des Postmodernismus/Poststrukturalismus sind in der Regel nicht politisch korrekt und auf sie trifft diese Kritik nicht zu.)
Du liest also den Text nicht und ergehst dich stattdessen in persönlichen Beleidigungen und Unterstellungen gegen meine Person – und forderst im selben Atemzug die »Bereitschaft, die kritisierte Position zu verstehen und inhaltlich zutreffend darzustellen.«
Wow.
Was du hier aufführst, ist eine Reihe mehr oder weniger abstruser Sophistereien mit dem Zweck, deinem Zorn- und Vernichtungsaffekt einen rationalen und objektiven Anstrich zu geben.
Ich »versuche« nicht einmal, redlich zu arbeiten, habe nicht einmal die »Bereitschaft« dazu, ich »scheiße« auf meine Sorgfaltspflichten, glaubst du gedankenlesend zu wissen.
Wozu auf Inhalte eingehen, wenn man dem anderen einfach einen miesen Charakter und böse Absichten unterstellen kann?
Und gleichzeitig dozierst du hier über Redlichkeit bei der Kommunikation und Wahrheitssuche. Alter Schwede. Wenn ich mal wissen will, wie du aussiehst, schaue ich einfach im Wörterbuch unter »selbstgerecht«. Da finde ich sicher ein Bild von dir.
»Verleumdung und Falschbeschuldigung«, der ist gut. In deinen Augen ist es also eine Straftat, die Dinge nicht so darzustellen, wie du sie dargestellt haben willst. Verboten. Was ich mache, ist nicht nur einfach etwas, dem du nicht zustimmst. Es ist etwas, das nicht existieren darf.
Du bist hervorragendes Anschauungsmaterial für vieles, was oben im Text steht. Z.B.:
Täte dir vielleicht ganz gut, darüber auch mal nachzudenken.
Was mich betrifft – nun, vielleicht steckt in der Tatsache, dass ich das andere Blog abschalte, so etwas wie ein Einsehen eigener Fehler.
Vielleicht steckt in einer Zwischenüberschrift wie »Der Balken in meinem Auge« so etwas wie ein Einsehen eigener Fehler. Könnte es sein? Oder auch in Abschnitten wie diesem:
Das darfst du gerne auch auf meine Retweetverbrechen beziehen.
Und guess what, den Machtspiel-Text, der dich damals so furchtbar getriggert hat, würde ich heute nicht mehr schreiben oder veröffentlichen. Er ist zu sehr eine Feindbildkonstruktion und nimmt den Mund zu voll.
Ich hoffe, das zerstört nicht das schöne Dämonenbild, das du dir von mir gemacht hast. Hast es ja lange gepflegt.
Alle weiteren Kommentare von dir auf diesem unterirdischen Niveau werden künftig gelöscht.
Die Rechtschaffenheit ud Gelassenheit Deiner Antwort an obigen Kommentator ist imponierend.
Aber: vielleicht sollte man Kräfte sparen, man hat sie ja nur beschränkt und wendet man sie hier auf, fehlen sie möglicherweise dort.
Sehr gute Texte und Gedanken hier. Merci.
Danke!
Huch. In welche irgendwo irgendwann anders mal ausgetragene Hahnenkämpfe gerät man denn hier rein, wenn man mal neugierig den Blog-Link bei Twitter anklickt? Eigentlich war ich nur zum Lesen gekommen. Der obige Kommentar wirkt auf mich als Aussenstehenden nun ungehalten, nachtragend und boshaft. Die darin offen zur Schau getragene passiv-aggressive Feindseligkeit ist für den unbedarften Leser leicht verstörend. Somit bestätigt der Kommentator wohl leider nur wieder vieles von dem, das der Blogersteller so treffend beschreibt.
Danke.
Auch in der selbst-ernannt anti-autoritären, anti-feministischen Linken sind die Leute ebenso gut in der Freund-Feind-Erkennung wie überall sonst auch. Da reicht es schon, wenn man das Wort »Kulturmarxismus« oder – gottbewahre – Jordan Peterson erwähnt (ohne ihn in Grund und Boden zu kritisieren), um immerwährend in bestimmte Schubladen gesteckt zu werden.
Aber Leszek schreibt sehr gut über bestimmte Strömungen in der Linken, das muss man ihm lassen, und er hat mir Matthias Hildebrandt nähergebracht.
Geht ja gut los :D.
Ich danke für den Blogbeitrag, ein wenig ist da ja aus der Mode gekommen, bzw.einige Leute schreiben heute eher ellenlange Twitterstränge, was ich persönlich ätzend finde.
Ein paar Anmerkungen:
»Viele Namen sind für diese neue Linke in Umlauf, darunter regressive Linke, autoritäre Linke, postmoderne Linke, (postmoderner) Neomarxismus, Kulturmarxismus, Alt-Left und Ctrl-Left. «
Auffallend hier finde ich, dass sich wohl die allerwenigsten so selber bezeichnen werden.
Am ehesten wäre »Neue Linke« noch akzeptabel. Klingt für mich erstmal neutral und drückt aus, dass sich etwas verändert hat. Aber sind in den letzten Dekaden nennenswerte politische Formationen aus dem Boden gesproßen, die sich selbst so nennen?
»Es waren also, meine ich, erstens überzogene Herrschaftsansprüche und zweitens die Folgen einer Reihe von schlechten, unüberlegten Entscheidungen der Linken, die zu Widerstand in Form des “Rechtsrucks” geführt haben. (Jetzt kann man natürlich bestreiten, dass Merkel eine Linke sei, ich würde das auch nicht behaupten, aber sie hat sicherlich etwa mit dem Atomausstieg und “Refugees Welcome” linke Stimmungen aufgegriffen.)«
Merkel ist gewiss keine Linke, genausowenig wie die CDU links ist, oder Großkonzerne, Hollywood etc. Die Frage die sich aus meiner Sicht stellt ist, wieso diese »neulinken« Ideen so einen Erfolg haben. Ich glaube nicht, dass es lediglich ein Ausdruck linker Hegonomonie infolge eines Marsches durch Institutionen ist, die andere Akteure vor sich hertreibt. Da ist auch viel Zynismus im Spiel bzw. ich selber habe Sympathien für die Meinung identitätspolitisch-kritischer Linker, nachdem es sich quasie um die kulturelle Seite einer neoliberalen Hegonomie handelt. Auf der Rechten wird das nach meinem Eindruck derzeit eher unter »Globalisten vs Lokalisten« abgehandelt.
Stimmt, das sind überwiegend Fremdzuschreibungen und Kampfbegriffe. Zu den Begriffen, die sowohl Gegner als auch Befürworter benutzen, gehören political Correctness, Identitätspolitik, Intersektionalität und »Social Justice« (manchmal sogar mit »Warrior«).
Nein, ich denke nicht, dass es große Formationen gibt, die einen neuen Namen für sich selbst haben. Das liegt meiner Ansicht nach an ihrem Selbstverständnis und damit verbunden ihrer Legitimation. Du stehst ja auf einer viel schlechteren Verhandlungsposition, wenn zu zum Beispiel die Forderung nach einer Frauen- oder Diversity-Quote in Politik oder Wissenschaft vom Standpunkt irgendeiner linken Strömung aus erhebst, als wenn du sagst, das ist einfach das Richtige, gerecht, zeitgemäß und fortschrittlich. Als Justin Trudeau gefragt wurde, warum er sein Kabinett zur Hälfte mit Frauen besetzt hat, sagte er nicht, »weil ich ein Linker bin«, sondern »weil wir das Jahr 2015 haben«. Und das ist meiner Ansicht nach nicht nur Marketing, sondern auch die Selbstwahrnehmung, nicht nur eine politische Strömung unter vielen zu sein, sondern so etwas wie den sozialen Fortschritt schlechthin zu vertreten. Etwas, dem jeder vernünftige, intelligente und gutwillige Mensch zustimmen muss.
Also Trudeau ist ein Beispiel, dann die Frauenquoten-Vorstöße hierzulande, die Initiativen, die »geschlechtliche Identität« im Grundgesetz zu schützen (was juristisch revolutionär wäre, weil »geschlechtliche Identität« in dieser Denkweise etwas rein subjektiv Definiertes ist), staatlich geförderte Gegen-Rechts-Initiativen, die es gutheißen, wenn weiße Deutsche als »Kartoffeln« und »Almans« beschimpft werden, die Umstellung öffentlicher Verwaltungen auf Gendersprache … diese Dinge reichen in die höchsten Stellen und wichtigsten Institutionen hinein. Das ist doch wohl »nennenswert«?
Magst du mehr dazu sagen, was du mit »Zynismus im Spiel« meinst? Das würde mich interessieren. Ich hoffe, es ist deutlich geworden, dass ich nicht die ganze Linke mit diesen Tendenzen assoziiere, und ich würde mir sehr dringend wünschen, dass eine mehr klassische Linke stärker und präsenter wäre.
»Und das ist meiner Ansicht nach nicht nur Marketing, sondern auch die Selbstwahrnehmung, nicht nur eine politische Strömung unter vielen zu sein, sondern so etwas wie den sozialen Fortschritt schlechthin zu vertreten. Etwas, dem jeder vernünftige, intelligente und gutwillige Mensch zustimmen muss.«
Absolut. Der Typus »Ich bin hier der große, unideologische Pragmatiker« hat sich wahrscheinlich auch in den letzen Jahren mehr ausgebreitet. Anekdote dazu:
Im Off-Topic Bereichs eines von mir öfter besuchten Forums legte mal ein Herr seine Sicht auf die politische Landschaft dar. Sinngemäß:
Ideologen seien »die gefährlichsten«. Er sei »liberal« und bevorzuge eine »pragmatische, wissenschaftsbasierende Politik«. Er sei kein CDU-Wähler (Merkel mache aber »einen guten Job«). Die Linke ginge gar nicht, die SPD sei »einfach da«. Die AFD wäre freilich der Teufel höchstpersönlich, mit der FDP stimmte auch was nicht.
Blieben also die Grünen, denen man am ehesten zugeneigt sei.
Schon die »wissenschaftsbasierende Politik« fand ich zum Schmutzeln, doch waren mir auch konkrete Äußerungen bewußt, die diese Beschreibung noch drolliger machten.
Diese Person fiel konkret keinesfalls durch besondere Liberalität oder gar sowas wie »wissenschaftlicher Neugierde« auf, so etwas wie einen ausgeprägten Drang, Dinge verstehen zu wollen.
Konfrontiert beispielsweise mit bestimmten Fehlgriffen von Netzzensur, die eben nicht immer nur die »Bösen« trifft, kam die Aussage »dass müsse sich erst einspielen«. Analyse von Phänomen wie Pegida oder Terrorismus fand nach dem Motto »sind halt Demokratiefeinde« statt. Angesichts des AFD-Erfolgs müßte man früh was in den Schulen tun, so aus humanistischer Sicht, im Osten seien da ja auch Gebildete weggezogen, das erklärt den Erfolg da etc.
Jetzt könnte man sagen, ok, da klafft halt das Selbstbild von jemanden mit der Realität auseinander. Es gab da aber auch noch einen besonderen Aspekt, der das ganze für mich erst so richtig bemerkenswert macht: Diese Person ist ein Journalist. Nachdem was ich weiß auch mindestens am lokalen politischen Betrieb dran, also nicht Sport oder sowas.
»Magst du mehr dazu sagen, was du mit “Zynismus im Spiel” meinst? Das würde mich interessieren. Ich hoffe, es ist deutlich geworden, dass ich nicht die ganze Linke mit diesen Tendenzen assoziiere, und ich würde mir sehr dringend wünschen, dass eine mehr klassische Linke stärker und präsenter wäre.«
Zynismus ist vielleicht das falsche Wort bzw. reicht nicht aus für das was ich eigentlich meinte. Ich meine so Sachen wie sich den öffentlich gebenden Feministen, bei dem dann rauskommt dass er (oder sie) ein Sexualverbrecher ist , Unternehmen die »Hass-Marketing« gegen ihre eigene Kundschaft betreiben, oder sich besonders »divers« geben ohne diesen Anspruch gerecht zu werden. Oder auch denkbar: einem Diversitätsanspruch gerecht werden, und die Belegschaft dann zu miserablen Bedingungen schuften lassen – linke Identitätspolitik als Schild gegen klassische linke ökonomische Forderungen etwa.
Bezüglich der Presse habe ich mal auf Twitter die Formulierung »Arms Dealer in the Culture War« gelesen. Sowas gab es früher natürlich auch, aber ich denke heute spielen auch die sozialen Medien, Clickbait, Druck etc. eine verstärkende Rolle.
Klar kann man sagen, dass sind halt z.T. Heuchler, da sind autoritäre Persönlichkeiten dabei etc. Das ist aus meiner Sicht etwas kurz gedacht, wenn sehr handfeste materielle Interessen vorhanden sein können.
»Ich hoffe, es ist deutlich geworden, dass ich nicht die ganze Linke mit diesen Tendenzen assoziiere, und ich würde mir sehr dringend wünschen, dass eine mehr klassische Linke stärker und präsenter wäre.«
Das ist auch schon deutlich geworden, ich würde mich aber auch nicht daran stoßen wenn der Text pauschalisierender über die Linke wäre. Aus meiner Sicht stellt es sich so dar, dass die drei relevanten linken Parteien in Deutschland allesamt im Identitätsboot sind. Es mag Unterschiede in Detailfragen geben, und natürlich gibt es auch noch klassische Linke Ansätze und Denkweisen.
Moin,
ich mag Deine Texte sehr, finde aber die Plattformwechsel verwirrend. Meine Idee wäre, Du schlössest Dich einer bereits existierenden Plattform an. Vorteil: Du kannst auf bereits existierende Infrastruktur und Auditorien bauen, und kannst Dir auch mal Pausen können. Du würdest beispielsweise programmatisch und auch vom Niveau hervorragend zu man-tau passen.
Nur als Vorschlag
Vielen Dank! Ich bemühe mich, die Plattformwechsel auf ein Minimum zu begrenzen 😉 Grundsätzlich habe ich nichts gegen Kooperationen, aber im Moment ist das hier eine laufende, offene Auseinandersetzung mit den Dingen und mir selbst, und dazu brauche ich die Narrenfreiheit einer eigenen Plattform.
Ein sehr vielversprechendes Vorhaben, das du hier umsetzt, und die schon vorhandenen Beiträge sind interessant und gut geschrieben.
Du liest und recherchierst meinem Eindruck nach viel im englischsprachigen Raum. Da schaue ich mich seit einer Weile auch verstärkt um, weil gerade kontroverse Themen dort oft vielfältiger diskutiert werden und die Entwicklungen dort mit etwas Verzögerung meist auch bei uns ankommen. Vielleicht trägst du hiermit ja dazu bei, die Diskussion auch im deutschsprachigen Raum weiterzubringen.
Ich wünsche deinem Blog viel Erfolg und bin gespannt auf das, was noch kommt. 🙂
Hi Sebatsian,
mein Kommentar zu diesem Eintrag kommt wohl ein wenig spät 🙂
Deine Analyse zu der »Neuen Linken« oder wie man sie auch immer nennen mag, ist mMn wirklich gut gelungen.
Die Unterscheidung von PC-Egalitären und PC-Autoritären passt sehr gut zu Sahra Wagenknechts Idee von »Lifestyle-Linken«. Wobei PC-Egalitäre wohl am besten mit klassischen Linken, wie Wagenknecht selber, und PC-Autoritäre am besten mit Lifestyle-Linken zu vergleichen sind. Das bestätigt für mich auch die Tendenz, dass die politische und gesellschaftliche Linke sich in zwei Lager spaltet oder sogar schon gesplaten ist.
Nicht auszuschließen, dass dies auch im bürgerlich-konservativen Lager zu verzeichnen ist. Politiker wie Laschet oder Söder repräsentieren die Big-Five Eigenschaft der Offenheit deutlich mehr und verstehen sich viel progressiver als man es von (autoritären) Konservativen gewohnt ist. Wohingegen der klassich konservative Charakter des »Autoritismus« auf der Strecke bleibt und sich dann in einem eigenem Lager wiederfindet, wie die CDU Ostverbände insgesamt oder Politiker wie Maaßen oder Merz.
Beste Grüße
Carl