Dafür garantiert Luisa Neubauer.
Ich wurde eben über eine Facebook-Anzeige auf ein Buch aufmerksam, dessen Aufmachung plastisch das magische Denken von treibenden Kräften innerhalb der politischen Linken illustriert, das ich als Politik der Negation beschrieben habe.
Unlearn Familie, unlearn Sex, unlearn Sprache, unlearn Plotik (?), unlearn Arbeit, unlearn Wissenschaft. Kann alles wech. Die Luisa und ihre Freund:innen wissen mehr als alle vorangehenden Generationen zusammen, ganz locker.
»Politik der Negation« deshalb, weil sich dieser Ansatz darauf konzentriert, das Bestehende zu zerstören, in dem Glauben, dann formiere sich die Utopie von selbst. Als wäre die Utopie, das Vollkommene nicht nur realisierbar, sondern als unsere teleologische Bestimmung in uns angelegt und wartete nur darauf, sich zu realisieren, würde aber durch irgendwelche Teufeleien (hier: das Patriarchat) daran gehindert. Man muss also nur (durch Negation) diese Teufeleien abstellen und schon formt sich wie von selbst die perfekte Gesellschaft.
Dieser Glaube ist höchst irrational, eine komplette Illusion und brandgefährlich. Wenn man erst einmal alles zerstört hat und dann merkt, dass sich wieder nicht die Utopie einfindet – d’oh! -, ist es zu spät, das Zerstörte wieder herzustellen. Wobei erfahrungsgemäß auch dann die Einsicht nicht kommt; siehe »When Prophecy fails«. Man wird dann das Scheitern darauf zurückführen, dass immer noch Teufel in unserer Mitte sind; Saboteure, Spione, bourgeoise Denkweisen usw.
Aus der Buchbeschreibung:
Von Familie über Arbeit und Geld bis zu Gender, Rassismus, Bildung sowie Liebe und Sex und noch vieles mehr. Die Texte sollen helfen, die patriarchalen Muster und Verhaltensweisen im eigenen Leben zu identifizieren und dann nach und nach, Stück für Stück, hinter sich zu lassen, um Platz für Neues zu schaffen.
»Platz für Neues« wohlgemerkt, nicht »Neues«. Wie und von wem dieses Neue dann geschaffen werden soll und wie es aussehen könnte, bleibt offen. Wir konzentrieren uns aufs Zerstören. Der Rest findet sich.
Denn wie sollen wir das Patriarchat zerstören, wenn wir es selbst in uns tragen und fortführen? Wenn wir nicht nur Opfer sind, sondern auch Verbündete oder gar Täterinnen?
Durch maoistische Struggle Sessions in die bessere Zukunft. Es ist von einiger Ironie, dass gerade diejenigen von »ewig Gestrigen« reden, die historisch im frühen 20. Jahrhundert und psychologisch in der Pubertät hängengeblieben sind.
Wir wollen keine neuen Ideologien, keine neuen Denkverbote, keine Zwänge, keine Fesseln. Wir wollen nicht eine Unterdrückungsform durch eine andere ersetzen. Unlearn Patriarchy bedeutet Freiheit und Gerechtigkeit für alle. Und das schaffen wir nur gemeinsam. Den Weg dorthin kennen wir nicht, aber wir spüren, wir erahnen, wir fühlen ihn. Und das ist genau das Spannende.
Bingo. Den Weg kennt ihr nicht, aber ihr fühlt irgendwas. Also einfach mal alles zerstören. Sehr kluk.
Mit genau diesem Bullshit habe ich mich in meiner Studentenzeit auch selbst betrogen, wie hier erwähnt. Ich untergrabe nach Kräften die bestehende Gesellschaft und behaupte, es gehe mir darum, Platz für eine bessere zu schaffen. Wenn ich nun gefragt werde, wie die bessere aussehen soll, sage ich: Das kann und will ich nicht vorgeben, das wäre ja Diktatur. Zwei Fliegen mit einer Klappe: Ich bin erstens der Beantwortung der Frage ausgewichen und habe gleichzeitig dem Vorwurf oder Verdacht den Boden entzogen, mein Wirken könne darauf hinauslaufen, die Gräuel von Stalin oder Mao zu wiederholen. Das will ich ja gerade nicht, deshalb lasse ich das bewusst offen! Bin ich nicht schlau?
Nur dass die Tatsache, dass ich das nicht will, in keiner Weise bedeutet, dass es nicht faktisch darauf hinausläuft. Die Entgegnung ist auch fadenscheinig, denn es ging nicht darum, dass ich die Form der neuen Gesellschaft diktieren soll, sondern dass ich einfach mal mitteilen soll, wie ich sie mir vorstelle oder wünschen würde. Darüber diskutieren könnte man dann immer noch. Einen Vorschlag zu unterbreiten ist kein »Denkverbot«. Ein absurder Kurzschluss, der nur kaschiert, dass die Kaiserinnen komplett nackt sind.
Es ist nichts außer narzisstischem Um-sich-Schlagen und rhetorischem Budenzauber. Das können sie, aber sonst sind sie planlos. Und das ist nach ihrer eigenen Auskunft »genau das Spannende«.
Sogar bekennende Feminist:innen tappen immer wieder in die gleichen Fallen. Wir schließen Frauen durch Sprache aus, folgen veralteten Vorstellungen von einer glücklichen Kleinfamilie inklusive traditionellen Rollenbildern. Oder wir passen uns männergemachten und kapitalistischen Strukturen an, wenn wir im Beruf erfolgreich sein wollen.
Vielleicht sind funktionale Kleinfamilien doch besser als dysfunktionale, vor allem für Kinder, könnte das sein? Vielleicht ist die Arbeitswelt nicht nur deshalb von Konkurrenz und Leistungsansprüchen geprägt, weil sich zu Tode arbeitende Männer das toll finden, sondern weil es eine Dynamik ist, die sich nun mal einstellt, da der Lebensunterhalt in jeder Gesellschaft produziert werden muss und Ressourcen knapp sind? Nein, einfach »umdenken«, dann ist das alles ausgehebelt. Ich mach mir die Welt …
Eine atemberaubende Hybris, a priori zu glauben, all diese Teile der Wirklichkeit, deren Komplexität man nicht ansatzweise versteht oder durchdrungen hat, nach dem eigenen Willen und Wünschen neu erschaffen zu können. Und das dialektische Mittel dazu ist immer das Gleiche: Irgendetwas daran finden, was Ungleichheit irgendeiner Art spiegelt, und es dafür attackieren, für illegitim erklären, zerstören. Und dann?
Dann passieren sehr unterschiedliche Dinge, je nachdem, ob wir uns in der Fantasie von nie erwachsen gewordenen narzisstischen Utopisten befinden oder in der Wirklichkeit.