Bei großen politischen Fragen der Gegenwart, die zu komplex sind, um ihnen selbst auf den Grund zu gehen, ist die Haltung der Menschen wesentlich dadurch bestimmt, ob sie den Institutionen vertrauen oder nicht.
Man kann sich das ganze Geschehen so vorstellen, als ob wir alle eine große Familie wären. »Wir alle« heißt du, ich, der Wissenschaftsbetrieb, die Medien die Bundesregierung, Bill Gates, Joe Biden, Klaus Schwab und das Weltwirtschaftsforum, Blackrock und Vanguard. Wir sitzen alle gemeinsam am globalen Küchentisch und sprechen vernünftig darüber, welche Lebensmittel wir künftig einkaufen, wie wir unseren Energieverbrauch reduzieren und wie wir miteinander umgehen wollen. Dann setzen wir das Beschlossene um, und jeder leistet seinen Beitrag.
Aber wenn man nicht kauft, dass alles so simpel und gutartig ist, haben die politischen Zudringlichkeiten und Freiheitsverluste der letzten Jahre ein anderes Gesicht. Lockdowns, Maskenpflicht, Hetze gegen Ungeimpfte, Verächtlichmachung und Zensur von abweichenden Meinungen, die sich im Rückblick oft als gar nicht so falsch erwiesen haben. Der spätere Gesundheitsminister Lauterbach schrieb Ende 2020 in der »Welt«, da es keine Impfung gegen CO2 gebe, »benötigen wir Maßnahmen zur Bewältigung des Klimawandels, die analog zu den Einschränkungen der persönlichen Freiheit in der Pandemie-Bekämpfung sind.« Für wie viele Jahrzehnte? Das WEF frohlockte wenig später zu Bildern von menschenleeren Straßen: Lockdowns machen Städte rund um die Welt besser.
Seit Jahren klagen sie, dass alles zu billig sei. Lebensmittel zu billig, Energie zu billig, Mobilität zu billig, alles muss teurer werden. Das Weltwirtschaftsforum stimmt uns darauf ein, künftig Insekten statt Fleisch und Käse zu essen. Digital ID und digitaler Zahlungsverkehr schaffen perfekte Bedingungen für lückenlose Überwachung und Kontrolle. Mit ESG ist bereits ein Social Credit Score für Unternehmen in Kraft, der einen kulturellen Gleichmarsch erzwingt, aber dabei noch genug Luft für Willkür derjenigen lässt, die ihn kontrollieren. Für einen richtigen Social Credit Score gibt es im Westen bereits Probeläufe. Medien, Politik, Aktivisten und sogenannte Sozialwissenschaftler haben in der Pandemie angefangen, die Idee persönlicher Freiheit als egoistisch und unsozial zu brandmarken, wie es auch Sekten und Missbraucher tun. Und jetzt soll man sich fürs Heizen und Duschen schämen. Oder kalt duschen. Oder wenigstens einmal am Tag in die Dusche pinkeln.
I support the current thing. 🥳
Die Grünen und andere große Transformateure können nichts für die imperialistischen Ambitionen Putins. Aber es ist kein Zufall, dass jetzt ihr langjähriger Wunsch in Erfüllung geht, alles möge teurer werden. Wir sitzen nicht nur wegen Putin im Schlamassel, sondern auch infolge der politischen Entscheidung, die Energieversorgung abzubauen, bevor eine neue aufgebaut ist.
»Aber es ist doch für die Rettung der Welt, du Zyniker! Natürlich ist es egoistisch und antisozial, sich der Rettung der Menschheit zu verweigern! Was sonst?«
Was für ein wundervolles Argument das ist! Das ultimative Argument, das alle anderen Argumente schlägt. Wenn es dieses Argument nicht gäbe, müsste man es erfinden. Was würde ich dieses Argument lieben, wenn ich ein Tyrann wäre. Ich mache das alles doch nur, um die Menschheit zu retten! Ihr zwingt mich doch dazu! Wer protestiert denn da gegen mich? Das können nur Menschenfeinde sein.
Wer dieses Narrativ einmal akzeptiert hat, kann nicht mehr nein sagen. Man kann ihm gegenüber keine berechtigte Grenze ziehen. Welche Beschwerde man auch vorbringen mag, sie kann nie schwerer wiegen als die ganze Menschheit, um deren Rettung es geht, oder auch nur als Abzuwägendes gegen sie ins Gewicht fallen. Wer das Narrativ akzeptiert, muss jede Zumutung hinnehmen. Und die Chancen stehen gut, dass er es vorauseilend und mit Stolz tun wird, weil er ja ein Opfer für die ultimative gute Sache bringt, die er als gefühltes Mitglied der erleuchteten Avantgarde am globalen Küchentisch beschlossen hat; ebenso die Chancen, dass er ob des Schmerzes der Zumutungen diejenigen umso mehr verachtet, die diese Zumutungen nicht auf sich nehmen.
Verschwörungsgeraune? Nicht wirklich; eine Verschwörung wäre ja geheim und dies wird alles ziemlich offen kommuniziert. Das Weltwirtschaftsforum nennt es »Stakeholder-Kapitalismus«: eine Politisierung und kulturell-politische Gleichschaltung der Wirtschaft unter dem Doppelbanner von Sustainability und DEI – Diversity, Equity und Inclusion, im Volksmund auch »Wokeness« genannt. Ein gemeinsames, durchdringendes Herrschafts- und Wertesystem von Wirtschaft und Politik, das unter Umgehung öffentlichen Diskurses und demokratischer Prozesse etabliert wird und im Erfolgsfall nicht zuletzt dank Digitalisierung omnipräsent wäre. Böse Zungen nennen es Faschismus.
Womöglich meinen Schwab & Friends es sogar gut. Ein Milieu von Reichen und Superreichen, die ein bisschen größenwahnsinnig sind und sich mit ambitionierten Plänen für die Rettung und Reformierung der Menschheit bei Laune halten. Aber ob sich das in deren Köpfen als menschenfreundliches Projekt darstellt, ist relativ unerheblich. Eine Tyrannei wäre es so oder so.
Deshalb habe ich mich herzlich über die Reaktionen auf das öffentlich-rechtliche Werben fürs Pinkeln unter der Dusche gefreut:
Das ist vermutlich alles nicht besonders politisch motiviert, aber das muss es auch nicht sein. Es braucht nur gesunde Grenzen gegen offenkundige Übergriffigkeit. Hier liegt die Hoffnung – dass mit der Zunahme der Zumutungen auch die Verweigerung so zunimmt, dass sie zu einer politisch ausreichend wirksamen Kraft wird, um den Prozess aufzuhalten. Wenn das Modell China erst einmal steht, wird man es so schnell nicht mehr los.