Die »Welt« berichtet über »Findom« und das Thema scheint mir eine Frage zu berühren, die von allgemeinerer Bedeutung ist. Wir stellen uns blind gegen Pathologien, die im Zusammenleben sichtbar werden, indem wir sie in eine simplistische liberale Ethik zwingen, in der alles okay ist, was freiwillig zu geschehen scheint. Wobei Letzteres hier noch nicht einmal klar ist.
»Findom« steht für »financial Domination« und ist wohl angelehnt an »Femdom« für »female Domination«. Eine Findom ist so etwas wie eine Domina, die sich über das Internet männliche »Sklaven« hält. Die lassen sich von ihr beschimpfen und finden im Gegenzug irgendwie Befriedigung darin, ihr Geld zu schicken. Anders als bei der klassischen Domina findet das Ganze hier primär virtuell statt. Das Geld ist allerdings echt.
Mir scheint, man kann Dinge wie diese auf zwei grundlegend unterschiedliche Arten wahrnehmen, und zwar abhängig davon, ob man voraussetzt, dass es eine menschliche Natur gibt – oder anders ausgedrückt, wie man sich die menschliche Natur vorstellt. Der Standpunkt »es gibt keine menschliche Natur« wäre ja etwa gleichbedeutend mit »die menschliche Natur ist durch (annähernd) unendliche Wandelbarkeit charakterisiert«. Wenn man meint, dass es eine menschliche Natur gibt, die dem Leben gewisse Formen und Muster vorschreibt, wird man sich des Verdachts nicht erwehren können, dass »Findom« keine gesunde Praxis ist. Auf der anderen Seite kann man den Standpunkt einnehmen, jede denkbare Praxis sei so gut wie jede andere, solange es selbstbestimmte Erwachsene seien, die sich dafür entscheiden.
Offenkundig ist das moralische Prinzip der Liberalität und Freiwilligkeit sympathisch. Es ist eine simple Regel, durch die sich viele moralische Fragen im Sinne größtmöglicher Freiheit entscheiden lassen. Es ist menschenfreundlich auf eine naive Art, die sofort einleuchtet. Aber es hat auch etwas Künstliches. Es ist simplistisch. Es ist kontraintuitiv. Es unterschlägt Aspekte wie Würde, Anstand und Selbstrespekt und es ist kurzsichtig, denn Menschen können auch mit selbstbestimmten Entscheidungen Schäden für sich und andere anrichten, die sich vielleicht erst langfristig manifestieren. Das sei der Preis der Freiheit, könnte man antworten; Freiheit heißt auch, die Konsequenzen seiner Entscheidungen zu tragen, die durchaus negativ sein können. Meinetwegen, aber das ist kein Grund, so zu tun, als wäre an solchen Entscheidungen nichts auszusetzen.
Wir sind sorgenvoll bemüht, offen und tolerant zu sein, und fürchten uns davor, engstirnig oder altmodisch zu erscheinen oder zu diskriminieren. Bloß nicht der grimmige Senior sein, der vom Fortschritt überfordert ist und alles Neue verurteilt. Wir wollen leben und leben lassen. Vielleicht treiben uns diese Besorgnisse zu einer Beliebigkeit in der Bewertung sozialen Geschehens, die dessen Komplexität nicht angemessen ist und ihm nicht gut tut, und vielleicht wissen wir dies insgeheim auch oder ahnen es zumindest. Und vielleicht ist dieses Problem in den Liberalismus eingebaut. Es ist das ethische Gegenstück zur empirischen Annahme, dass Menschen als unbeschriebene Blätter zur Welt kämen, die Steven Pinker ausführlich behandelt hat. Anything goes, weil wir unbeschriebene Blätter sind. Es fehlt systemimmanent ein ontologischer und ethischer Maßstab, um zu beurteilen, was ein gutes Leben für Menschen ist.
Dabei verfügen wir offenkundig auf intuitiver und emotionaler Ebene über solche Maßstäbe. Sie sind nur schwer zu artikulieren und zu objektivieren. In seinem Buch »The Righetous Mind« verweist Jonathan Haidt auf Forschung, die zeigt, dass das Schadensprinzip von John Stuart Mill – alles, was niemandem schadet, ist okay – nicht unserem natürlichen Moralempfinden entspricht. Stellen wir uns einen Mann vor, der sich ein tiefgekühltes Hühnchen kauft, es zu Hause auftaut und dann Sex damit hat. Haidt hat Menschen solche Geschichten vorgelegt und sie nach ihrer moralischen Bewertung gefragt. Die Befragten halten das Rendezvous mit dem toten Hühnchen für unmoralisch, haben aber Mühe, das zu begründen, weil die Sache niemandem zu schaden scheint. Das konservative Herz hat dazu eine andere Meinung als der liberale Verstand.
Vielleicht hat es Recht. Und vielleicht schadet die Aktion durchaus jemandem. Vielleicht schadet der Mann damit seiner eigenen Integrität und Würde, beschmutzt sein Selbstbild und lädt sich Scham- und Schuldgefühle auf. Solche Belastungen und Beschädigungen machen ihn dann auch nicht unbedingt zu einer positiveren Kraft im Leben anderer. Er kann sich nicht zu seinem vollen Potential produktiv in die Gemeinschaft einbringen, wenn er aufgrund solcher Aktionen das Gefühl hat, in Wahrheit ein armseliger Creep zu sein.
Die klassische linke Antwort darauf wäre, dass dieses Problem doch aber nur entstehe, weil die Gesellschaft so voller Vorurteile sei. Demnach könnte Sex mit einem toten Hühnchen ebenso normal für uns sein wie das Händchenhalten mit dem Partner, wenn wir uns nur daran gewöhnten und uns von den einschränkenden Normen befreiten, die wir geerbt haben.
Viele Annahmen über Menschen aus dem Dunstkreis der Gender Studies unterstellen tatsächlich eine solche beliebige Formbarkeit von Moral und Sexualität. Bei geistig gesunden Personen, die sich zu diesen Theorien bekennen, melde ich Zweifel daran an, dass sie wirklich glauben, was sie diesbezüglich zu glauben behaupten. Und wer es wirklich glaubt, hat nach meiner Einschätzung den Bezug zu seiner intuitiv und emotional verankerten Menschenkenntnis verloren oder zerstört, die wir von Natur aus alle zunächst einmal haben. Aktuell sind Theorien populär, die diesen Verlust, diese Zerstörung aktiv befeuern, indem sie Menschen drängen, in wichtigen Fragen bei jeder Gelegenheit ihre Intuition und evidente Realitäten zu verleugnen. Die Fähigkeit, diese Verleugnung möglichst weit zu treiben, wird sogar zum Merkmal sozialer Distinktion. Ich bin so gebildet, so klug, so kritisch, dass ich gar nichts mehr von dem glaube, was der gemeine Pöbel glaubt. Das ist die ideologisch induzierte Psychopathie im weiteren Sinn, von der in Lindsays Modell der Pseudo-Realität die Rede ist. Darüber ist in Zukunft noch einiges mehr zu sagen.
Im »Welt«-Artikel sprechen also eine Findom, die dort unter dem Pseudonym Lana auftritt, Anfang 20 ist und 2000 Euro im Monat von ihren »Zahlschweinen« erhält, und ein, wie soll man sagen, Kunde, ein 29-jähriger Hörakustiker.
»Viele Menschen haben da Vorurteile«, sagt Lana.
Ich sage: ein Fetisch ist ein Fetisch. Kein Mensch kann etwas dafür und solange keiner dabei zu Schaden kommt, ist doch alles okay.
Vorurteile sind etwas Schlechtes, etwas, das man nicht haben soll und das falsch ist. Ein »Fetisch« auf der anderen Seite ist anscheinend etwas moralisch Geschmacksneutrales, das man einfach hat, so wie man eine Warze oder grüne Augen hat oder Linkshänder ist. Ist es so einfach oder ist es verdächtig, wie bequem diese Einfachheit ist? Lässt sich alles, was an diesem Arrangement befremdlich anmutet, durch diese rhetorischen Einordnungen neutralisieren?
Woher weiß Lana eigentlich so genau, dass niemand dabei zu Schaden kommt? Ihre Origin Story weckt Zweifel daran, dass ihr dies ein sonderlich wichtiges Anliegen ist:
Angefangen habe alles vor vier Jahren auf ihrem privaten Instagram-Account, erzählt Lana weiter. Mit 18 Jahren habe sie ein Mann angeschrieben und gefragt, ob sie einen „Geldsklaven“ suche … Zuerst habe sie die Anfrage .. ignoriert …. Damals steckte sie jedoch schon in einer Beziehung, in der sie ihren Freund zunehmend für Gefälligkeiten wie Fahrdienste oder Restaurantbesuche ausnutzte. »Ich habe – nicht zum ersten Mal – gespürt, dass mein Partner viel schwächer ist als ich und mir nicht die Stirn bieten kann. Da habe ich gemerkt, dass mir dieses Spiel viel Spaß macht und ich das irgendwie brauche«, sagt sie rückblickend. Also antwortete sie dem Fremden schließlich doch und während eines längeren Chats erhielt sie so die Einführung in das Thema »Findom«.
War das Ausnutzen des schwächeren Freundes für ihn ebenfalls ein »Spiel«? Es klingt nicht so, aber wir wissen es nicht. Aber wenn der Freund ungefragt-unfreiwillig an diesem Ausnutz-Spiel teilgenommen hat, gibt es ein Wort für Lanas Verhalten: Missbrauch.
Apropos Spiel – es ist bei vielen Medienerzählungen informativ, einmal die Geschlechterrollen zu tauschen. Ein Mann merkt also im Rahmen einer Beziehung, dass seine Freundin »viel schwächer« ist als er und ihm »nicht die Stirn bieten kann«. Er beginnt sie auszunutzen und, sagen wir, lässt sie für ihn aufräumen und putzen und genießt das so sehr, dass er ein Hobby daraus macht und mehrere Frauen auf ähnliche Art in seine Dienste nimmt.
Würde dieser Mann eine so wohlwollende Mediengeschichte bekommen? Fänden wir das auch so drollig und schick progressiv? Könnte er die bösen Blicke des Publikums entschärfen, indem er versicherte, dass das nun mal ein »Fetisch« dieser Frauen sei, niemand zu Schaden komme und die Leute einfach nur »Vorurteile« hätten?
Einen Hinweis auf die Antwort geben die Ereignisse, die 2014 die GamerGate-Kontroverse ausgelöst haben. Eron Gjoni hatte einen langen Text veröffentlicht, in dem er detailliert und mit Belegen in Form von Chatprotokollen darstellte, wie Zoe Quinn, seine Exfreundin, ihn über einige Monate einem Missbrauchsverhalten par excellence unterzogen und fast in den Wahnsinn getrieben hätte. Dabei ging es auch um ihre Promiskuität, die an sich aber nicht den Missbrauch darstellte. Dieser bestand darin, auf seine berechtigten Fragen und zutreffenden Verdächtigungen mit ständig anwachsenden Lügengebäuden und Gaslighting zu reagieren und ihn gleichzeitig mit fortgesetzten Liebesschwüren und Besserungsgelöbnissen in emotionaler Abhängigkeit zu halten. Das ist ein klassisches Muster. Gjoni veröffentlichte die Geschichte mit der Begründung, andere vor Quinn warnen zu wollen, die allmählich zu Prominenz aufstieg, als Heldin und feministische Ikone gefeiert wurde, mit vielen Männern verkehrte und im Widerspruch zu ihren Beteuerungen keinerlei glaubwürdiges Bemühen zeigte, ihr Verhalten zu ändern, und allgemein über Missbrauchsverhalten aufklären zu wollen.
Was daran den Skandal auslöste, der zu GamerGate wurde, war nicht das Missbrauchsverhalten, sondern waren in Gjonis Geschichte enthaltene Hinweise auf mögliche Korruption in der Gaming-Presse. Das in diesem Zusammenhang Interessante ist aber, wie konsequent im Wesentlichen alle Medien das eindeutige und klar belegte Missbrauchsverhalten Quinns verschwiegen haben, um sie wahlweise als unschuldigen Engel oder Heldin und ihn als rachsüchtigen verschmähten Exfreund zu präsentieren. Exemplarisch kann man hier Wikipedia nehmen, wo im Wesentlichen die Sicht der Medien abgebildet ist.
The controversies and events that would come to be known as Gamergate began in 2014 as a personal attack on Quinn, incited by a blog post by Quinn’s former boyfriend Eron Gjoni. Called the »Zoe Post«, it was a lengthy, detailed account of their relationship and breakup that included copies of personal chat logs, emails, and text messages.
Wie hätten die Medien bei vertauschten Rollen reagiert? Eine junge Frau schreibt einen langen Text mit Belegen über das Missbrauchsverhalten ihres Exfreunds ihr gegenüber, das sie fast in den Wahnsinn getrieben hätte, weil sie sich nicht anders zu helfen weiß. Hätten sie auch dann das ganze Missbrauchsverhalten verschwiegen, um das An-die-Öffentlichkeit-Gehen der Frau als »persönlichen Angriff« einer rachsüchtigen verschmähten Liebhaberin auf den Mann und ihn als verfolgte Unschuld darzustellen? Oder hätten sie ihre Entscheidung als wichtig und mutig gepriesen und ihn als misogynes Schwein verdammt?
Wir haben in der öffentlichen Diskussion ein nahezu perfektes Vakuum da, wo Frauen Gewalt ausüben und Missbrauch begehen. Funkstille. Kein Kommentar. Wir sind nicht bereit, nicht fähig, darüber zu sprechen, so etwas überhaupt zur Kenntnis zu nehmen. Wo es nicht anders geht, weil eine Frau spektakulär gemordet hat oder Ähnliches, fragen wir als Erstes, wie es dazu kam, dass die Gesellschaft oder ein Mann sie zu solcher Verzweiflung getrieben hat. Der Glaube an die moralische Reinheit und perfekte Unschuld der Frauen scheint eine tragende Rolle in unserem Weltbild zu spielen. Er ist uns weit wichtiger als die Opfer, die in den meisten Fällen Kinder sein dürften. Wie stark dieser Glaube ist und mit welchem heiligen Furor er verteidigt wird, zeigt GamerGate in außergewöhnlicher Deutlichkeit bis heute. Die Möglichkeit, dass nicht alle weiblichen Akteure die personifizierte Unschuld waren, ist für die Mehrheit der Kommentatoren weiterhin kognitiv und emotional gar nicht fassbar, und Äußerungen in dieser Richtung werden samt der Sprecher sofort aufs Schärfste verurteilt.
Das mag ein Baustein der kulturellen Nische sein, in der »Findom« existiert. Wenn eine Frau Opfer eines Mannes wird, sind wir empört, wenn ein Mann Opfer einer Frau wird, finden wir das drollig oder nehmen es gar nicht erst zur Kenntnis.
Was nicht heißt, dass ich die Findom-Kunden als unschuldige Opfer darstellen will. Meine Gefühle ihnen gegenüber sind ambivalent. Der Ausdruck »arme Schweine« bildet diese Ambivalenz ab. »Schweine«, aber auch »arme«.
Lana ist zufrieden. Sie sitzt auf der Couch ihres WG-Zimmers und spricht in die Selfie-Kamera ihres Smartphones. »Heute meldet sich Mami mal persönlich bei ihren Ratten. Schaut mal, was der Postbote gebracht hat«, sagt sie süffisant und filmt das Paket, das geöffnet auf ihrem Schoß liegt, darin ein neues iPad. »Und wer hat’s bezahlt? – Ihr Loser«. Kurz darauf kommentieren die ersten Nutzer das Video: »Verdient!«, schreibt einer, der andere wünscht ihr »viel Freude« mit dem Gerät.
Wir erfahren nicht viel über diese Männer. Nur einer von ihnen wird kurz interviewt. Er wirkt im Skype-Chat mit dem Welt-Journalisten dem Bericht zufolge normal und sympathisch.
Bei seiner Arbeit trage er Verantwortung, mit Lana könne er die »komplett abgeben«, was er »wie ein Fallenlassen« empfinde.
Auf seinem Twitter-Profil bezeichnet Markus sich als »freier Sklave«. Frei, weil er sich nicht einer Geldherrin exklusiv verpflichtet hat und stattdessen mehreren »Herrinnen« in unregelmäßigen Abständen dient – etwa in kleinen Spielchen. Vor Kurzem habe eine Geldherrin die Farbe ihrer Unterwäsche von ihren Followern erraten lassen. Bei einer richtigen Antwort versprach sie ein Foto, bei einer falschen verlangte sie zehn Euro. »Da zahle ich die zehn Euro gern, die Befriedigung dadurch ist vergleichbar mit dem Zug an einer Zigarette. Das Bild habe ich trotzdem bekommen«.
Ausgenutzt fühle er sich nicht. »Es sei ja eine selbstbestimmte, freiwillige Entscheidung von seiner Seite aus, bei der beide Positionen klar definiert seien.«
Die Frage – oder nur der Wunsch – nach Geschlechtsverkehr stelle sich dabei nicht, behauptet B.. »Wenn ich darüber nachdenke, dass es eine Option wäre oder sie dazu bereit wäre, würde die Fantasie brechen. Ich muss spüren, dass mein Gegenüber die Geldherrin nicht nur spielt, sondern sie auch ›ist‹ «. Ein selbstbewusstes, toughes Auftreten sei da unverzichtbar.
Es fällt Markus sichtlich schwer, die Art der Befriedigung zu erklären, die er durch einen solchen Kontakt gewinnt. Mal bemüht er das Bild eines Spielautomaten, bei dem er sich über die durch seine Zahlung ausgelöste Reaktion freut, dann spricht er von einem ähnlichen Kick wie durch den Zug an einer Zigarette. Es dürfte kein Zufall sein, dass bei beidem ein gewisser Suchtfaktor besteht. Eine weitere Erklärung ist auch: das Ausbleiben von körperlicher Nähe ist Teil des Spiels bei »Findom«, der »Mangel« vielmehr ein »Reiz«.
Es klingt wie eine kontrollierte Beziehungs-Simulation. Der Spielautomat und die Zigarette lassen in der Tat an Sucht denken. Suchtverhalten erzeugt auf einfache und konzentrierte Weise den Kick, den uns sonst sinnvolle Lebensaktivität und entsprechende Erfolge bereiten. Dopamin. Aber berechenbar und kontrolliert, ohne aus der Deckung kommen zu müssen, ohne etwas zu riskieren und ohne Mühe aufzuwenden.
Lana ist für Markus eine Überfrau. Ihr Reiz für ihn besteht gerade darin, dass sie über ihm schwebt und unerreichbar ist. Aber gleichzeitig trivialisiert er sie, wenn er sie mit einem Spielautomaten und einer Zigarette vergleicht. Er »objektifiziert« sie, wie die Feministinnen sagen würden. Das Anhimmeln ist nur Teil des Rollenspiels.
Warum ist es befriedigend, ihr Geld zu schicken? Vielleicht drückt sich darin das instinktive männliche Bedürfnis aus, eine tragende positive Kraft im Leben einer Frau zu sein und von ihr gebraucht zu werden. Nur wird dieses Bedürfnis hier auf eine reduzierte, bequeme Weise ausgelebt, auf warenförmige Weise, jederzeit kündbar und ohne Verantwortung. Markus B. sagt ausdrücklich, dass es ihn reizt, in dieser Pseudo-Beziehung keine Verantwortung zu tragen. Er ist stolzer Versorger einer Überfrau, kann diese aber jederzeit abschalten, sei es zeitweise oder auch permanent, wenn er keine Lust mehr auf sie hat. Außer, sofern es sich wirklich um Sucht handelt, aber das wäre immer noch etwas anderes als eine persönliche Bindung. Davon abgesehen, dass es einen weiteren Schatten des Zweifels auf die Bekundungen der Freiwilligkeit und Selbstbestimmmtheit würfe.
Vielleicht ist das Ganze auch eine Flucht vor einer Realität zerstörter und paradoxer Geschlechterbeziehungen. Die meisten Frauen finden Männer nur anziehend, wenn sie so etwas wie männliche Stärke in ihnen sehen. Auch und gerade erfolgreiche Frauen suchen nach noch erfolgreicheren Männern. Gleichzeitig gilt ein Mann, der erfolgreicher ist als eine Frau, automatisch als Frauenunterdrücker. Man glaubt ja die Unterdrückung eins zu eins an Zahlenverhältnissen ablesen zu können, was impliziert, dass die Männer, wo sie in der Überzahl sind, ihre Positionen zu Unrecht und auf Kosten der Frauen erhalten haben. Als Persönlichkeitsmerkmal gilt männliche Stärke als bösartig, als toxisch. Das neue Ideal ist der weiche Mann. Nur wird der weiche Mann eben mangels Attraktivität weder eine Frau finden noch sich im Leben durchsetzen können, weil Männer ebenso wie Frauen dazu Stärke benötigen.
Die neuen woken Hollywood-Produktionen sind grotesk in der Einseitigkeit ihrer Darstellung perfekter Power-Frauen und nichtsnutziger Waschlappen-Männer. In der ersten Staffel von Star Trek: Picard war zu sehen, wie Picard, ein einstmals großer Raumschiffkapitän, Stratege, Diplomat, Politiker und Wissenschaftler, in einer Tour von überzeichnet »starken« Frauen gescholten und heruntergemacht wird, das alles in unterwürfiger Trotteligkeit willig entgegennimmt und sich demütig bei allen entschuldigt, unabhängig davon, ob er wirklich Schuld trägt oder nicht. Dieses Verhalten hat er mit allen anderen Männern gemein, die auftreten. Keiner wagt ein Widerwort gegen eine Frau.
Welche Geschlechterrollen bietet diese Kultur an, in denen Männer und Frauen zueinander finden können? Ich kann mich der Assoziation von Markus B. auf den kastrierten Picard – und die vielen anderen Helden von gestern, die der gleichen Behandlung unterzogen wurden – nicht erwehren. Vielleicht nimmt Markus B. einfach das Muster einer Mann-Frau-Beziehung, das die Leitkultur als Ideal vorgibt, und setzt es auf eine Art und Weise um, die er in sein Leben integrieren kann, ohne unter die Räder zu kommen.